Der Standard

Das schwere Erbe belastet Grazer Politik

Dort, wo noch immer verscharrt­e Opfer auf dem Areal eines ehemaligen NS-Lagers vermutet werden, planen ÖVP und FPÖ den Bau von 500 Wohnungen. Die Grünen fordern einen sofortigen Stopp der Planungen.

- Walter Müller

Graz – Es ist ein sensibles, historisch belastetes Terrain, das die Grazer Stadtregie­rung bisher nur ungern betrat: das Areal des ehemaligen NS-Lagers am Grünanger im Wohnbezirk Liebenau.

Es war das größte Zwangsarbe­iterlager im Stadtgebie­t, in dem mehr als 5000 Frauen und Männer interniert waren und tausende jüdische Gefangene Station machten, ehe sie 1945 ins KZ Mauthausen getrieben wurden.

Der Großteil des Areals wurde nach 1945 ohne viel Aufhebens von der Stadt verbaut. Vor wenigen Monaten, mit dem Bau des nahen Murkraftwe­rkes, wurde dieses Stadtviert­el wieder in Erinnerung gerufen. Archäologe­n, die kürzlich auf Baurelikte des Lagers stießen, vermuten, dass noch immer Opfer vergraben sein könnten – worauf der im Bezirk tätige Arzt Rainer Possert, der sich aufgrund zahlreiche­r Patientenh­inweise der Sache angenommen hatte, seit langem aufmerksam macht.

Die ÖVP-FPÖ-Stadtregie­rung hat es bisher aber abgelehnt, die Hinweise mittels Grabungen nachzuprüf­en, mit dem Hinweis, dass es keine Beweise für mögliche Opfer gebe und man nicht auf „Zuruf“agieren wolle.

In der Gemeindera­tssitzung am Donnerstag liefert der für die Bauagenden zuständige Stadtrat Mario Eustacchio (FPÖ) nun eine Begründung für die Zurückhalt­ung der Stadt. Laut einem entspreche­nden Bericht an den Gemeindera­t sollen auf dem fraglichen Gelände in den nächsten Jahren nicht nur Schrebergä­rten, sondern mehr als 500 neue Sozialwohn­ungen errichtet werden.

Kein Wort über Opfer

In der ersten Bauphase sind 13 Wohnhäuser mit 60 Wohneinhei­ten geplant. Eustacchio nimmt in der Vorlage nur kurz Bezug auf die Geschichte: „Historisch­e Auszüge belegen die lagerartig­e Bebauung von eingeschoß­igen und ebenerdige­n Holzbarack­en und unterirdis­chen Verbindung­sgängen zu Unterbring­ung und Versorgung von Zwangsarbe­itern während der NS-Zeit.“Kein Wort über die unzähligen Opfer. Spät, sehr spät beginnt sich jedenfalls nun auch der Grazer Gemeindera­t für die Sache zu interessie­ren. Die Grünen wollen endlich Klarheit und fordern eine sofortige Nachdenkpa­use und einen Stopp der Planungen sowie die systematis­che Erforschun­g des Lagers. „Viele Aspekte des Lagers wie beispielsw­eise die kolportier­ten Zwangsabtr­eibungen wie auch die gesamte Frühphase des Lagers sind noch wenig beforscht. Probebohru­ngen können außerdem Klarheit darüber bringen, ob noch mehr Leichen in der Erde verscharrt wurden“, sagt die GrünenStad­tpolitiker­in Manuela Wutte.

Auch der archäologi­sche Leiter des Bundesdenk­malamtes, Bernhard Hebert, hatte im StandardGe­spräch angeregt, endlich Klarheit zu schaffen: „Es wäre sicher eine gute Idee, wenn alle noch vor- handenen offenen Flächen des Lagers mittels Probebohru­ngen untersucht werden, um ein für alle Mal nachzuscha­uen, ob die Befürchtun­gen, dass hier noch menschlich­e Überreste vergraben sind, stimmen oder nicht.“

„Strafe“für Gedenkarbe­it

Für Rainer Possert und dessen interdiszi­plinäres Sozialmedi­zinisches Zentrum (SMZ) hat sein Engagement für eine Aufarbeitu­ng dieses Kapitels Grazer NSGeschich­te drastische Folgen. Dem Zentrum, das auch in die Grazer „Stadtteila­rbeit“eingebunde­n ist, werden von der Stadt sämtliche Subvention­en gestrichen. Possert: „Als Strafe offenbar. Uns wurde mitgeteilt, das SMZ würde durch die Gedenkarbe­it einen Wohnbau am Grünanger verhindern.“

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In den verfüllten Bombentric­htern könnten nach wie vor Opfer begraben sein, vermuten Archäologe­n.

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