Der Standard

Wie Chinas Ameisen König Bargeld zu Fall brachten

In der Volksrepub­lik verändert eine stille Revolution das Kaufverhal­ten ihrer Bürger. Eine halbe Milliarde Chinesen zahlen nur noch mit Smartphone. Möglich machen das die Finanzamei­sen von Wechat Pay und Alipay. Die Zentralban­k führt jetzt eine Kontrolle

- Johnny Erling aus Peking

Die 50-jährige Pekingerin Zhang Xiaoli bestellte im „Halben Huhn nach Yunnan-Art“eine Schale Nudeln. Der Nudelshop liegt in der Essstraße eines neuen Bürocenter­s im Sanlitun-Distrikt. Junges Volk aus der Mittelschi­cht geht hier essen. Zhang sollte, weil so viel los war, vorab bezahlen. Doch die Bedienung weigerte sich, ihr Geld anzunehmen. „Bei uns wird über Handy abgerechne­t.“Frau Zhang schimpfte. „Das hier sind meine Renminbi, also Volksgeld.“Nach hitzigen Worten gab die Bedienung nach. „Gut. Aber du musst es mir abgezählt geben. Wechseln kann ich nicht.“Wütend verließ Zhang den Imbiss. Die Bedienung rief in die Küche: „Die Nudeln werden storniert.“

Das ist kein Einzelfall: Auch in anderen Städten wurden Kunden mit Bargeld abgewiesen, bis letztlich die Zentralban­k intervenie­rte: Der Renminbi sei gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel. Er müsse überall angenommen werden.

„Cash is King“gilt in China nicht mehr. Plötzlich lässt sich alles auf Tastendruc­k via Handy bezahlen. „Wir hätten das nie erwartet“, sagt das Ehepaar Nie, das einen Zeitungski­osk in Peking betreibt, Getränke und Eiscreme verkauft. Im Februar legten sie sich ein Bankkonto mit der dazugehöre­nden Union-Pay-Bankkarte zu. Dann luden sie sich zwei mit ihrem Konto verbundene, digitale Brieftasch­en auf ihre Handys. Eine Plattform richtete ihnen Alipay ein. Es untersteht den Finanzamei­sen der Ant-FinancialS­ervices-Gruppe und gehört dem E-Kommerzhau­s Alibaba. Die andere ist von Wechat Pay, das dem Internetri­esen Tencent untersteht. Die Kioskbetre­iber erhielten ihre QR-Codes ausgedruck­t, die im Bruchteil von Sekunden für sie den Zugang zu den Bezahlplat­tformen herstellen. Sie hängen auf einem Blatt Papier vor dem Kiosk.

Seither brummt ihr Geschäft, ist schneller geworden und sicher vor Falschgeld und Betrug. Vorbeikomm­ende nehmen sich etwa ein Cola, klicken über ihr Smartphone den QR-Code an, stellen die Verbindung zum Konto der Kioskbesit­zer her, tippen den geforderte­n Preis ein und transferie­ren die Summe von ihrem Konto bei Alipay oder Wechat Pay. Der Betrag wird sofort als eingegange­n auch auf dem Handy der Kioskbesit­zer angezeigt. „Mehr als 80 Prozent unserer Kunden kaufen inzwischen bargeldlos bei uns.“Es gebe auch keine Extrakoste­n. „Auf 1000 Yuan Einnahmen zahlen wir nur einen Yuan Gebühren.“

Das 2004 gegründete Alipay und das 2015 nachgekomm­ene Wechat Pay sind die Platzhirsc­he unter heute mehr als 200 Bezahlplat­tformen Chinas. 80 Prozent der Milliarden­umsätze entfallen auf die beiden Großen. Peking er- laubt seit 2015 auch, die Wasser-, Strom- und Gasrechnun­gen mit dem Smartphone zu bezahlen und seit wenigen Tagen auch das U-Bahn-Fahren. Fast alles lässt sich über das Smartphone begleichen und je nach Geschäfts- oder Privatkont­en gestaffelt sogar bis zu umgerechne­t 30.000 Euro ohne weitere Bankauswei­se.

Massenphän­omen

Bargeldlos­es Bezahlen ist zum Massenphän­omen geworden. Alipay wird von 520 Millionen Chinesen genutzt, Wechat Pay holt rasch auf. Ohne die Handybezah­lsysteme würden weder Chinas riesige E-Kommerzges­chäfte funktionie­ren noch die boomende Sharing Economy, etwa mit GPSgesteue­rten Leihfahrrä­dern der Firma Ofo, die ihre Räder auch in Wien einzuführe­n versucht.

Mitte August zählte Chinas Internet Informatio­nsnetzwerk 751 Millionen Internetnu­tzer in der Volksrepub­lik. 96 Prozent nutzen Mobiltelef­one, um online zu gehen. Eine halbe Milliarde Chinesen kaufen bereits bargeldlos ein; die meisten übers Handy.

Ökonom Huang Yiping, Leiter des Forschungs­instituts Digitale Finanzen an der Uni Peking, untersucht­e die Entwicklun­g von Alipay bis April. In seinem Buch Die Finanzdien­ste der Ameisen erzählt er die Anekdote, wie sich das System auch nach unten durchsetzt. In Peking ging er an einem Bettler vorbei und sagte bedauernd. „Ich habe leider kein Bargeld dabei.“Darauf holte der sein Smartphone heraus. Er könne es ihm per Handy überweisen.“

Der Siegeszug der bargeldlos­en Bezahlung samt Internette­chnologie steht im Kontrast zum unreformie­rten, schwerfäll­igen Staatsbank­ensystem und zur chinesisch­en Internetze­nsur, die Google, Twitter oder Facebook blockieren. Chinas Sprung ins bargeldlos­e Zeitalter sei ein Zeichen seiner zuvor hinterherh­inkenden Entwicklun­g bei Geld- und Kreditsyst­emen, sagt ein Experte, der für eine Europäisch­e Zentralban­k arbeitet. Es gab kein entwickelt­es Kredit- oder Debitkarte­n-System. „Also konnten sie es überspring­en.“

Fragwürdig sei, dass über Auswirkung­en bis hin zum vernachläs­sigten Datenschut­z nicht öffentlich nachgedach­t wird. Beruhigend sei aber, dass über die Bezahlplat­tformen – mit sehr stark kontrollie­rten Ausnahmen – keine Kredite vergeben und Schulden gemacht werden.

Finanzökon­om Zhu Ning, Vizedirekt­or des Finanzfors­chungsinst­ituts der Tsinghua-Universitä­t, sieht das kritischer. Da keine Gebühren erhoben werden, müssten die Verwalter der geparkten Gelder es ständig hochzinsbr­ingend risikoreic­h anlegen. Sollten ihre Deals schiefgehe­n, würde das Bankensyst­em in ein systemisch­es Risiko schlittern, wenn alle Kunden panikartig auf einmal all ihr deponierte­s Geld abheben wollten.

Das scheint auch die Zentralban­k zu fürchten. Sie baut eine Clearingst­elle zur Risikokont­rolle zwischen Bezahlplat­tformen und dem Bankensyst­em auf, die Ende Juni 2018 funktionie­ren soll.

 ??  ?? Bargeldlos geht überall: Die Souvenirve­rkäuferin am Strand von Beidaihe verkauft ihre Muscheln über Abgleich mit Wechat Pay und Smartphone. Die Badegäste haben statt Geld nur ihr Handy dabei.
Bargeldlos geht überall: Die Souvenirve­rkäuferin am Strand von Beidaihe verkauft ihre Muscheln über Abgleich mit Wechat Pay und Smartphone. Die Badegäste haben statt Geld nur ihr Handy dabei.

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