Der Standard

Ein sanfter Gigant und verlässlic­her Freund

Der US-Superstar Neil Diamond gastierte am Dienstag in der ausverkauf­ten Wiener Stadthalle. Seine Knie und seine Hüfte mögen nicht mehr so elastisch sein wie früher, aber singen, das kann er.

- Karl Fluch

Wien – Keine Frage, der Mann wird geliebt. Allein schon sein Erscheinen auf der Bühne veranlasst­e große Teile des Saales, sich zu erheben und ihn willkommen zu heißen wie einen verlorenen Sohn. Neil Diamond, dem dieser Empfang galt, fasste sich an die Brust und nahm den Zuspruch berührt entgegen. Ein Profi mit Herz.

Bald darauf sollte er nach einem Lied sagen: „Wenn ihr gut zu mir seid, fühle ich mich gut, und wenn ich mich gut fühle, singe ich gut.“Das sollte sich am Dienstag in der ausverkauf­ten Wiener Stadthalle bewahrheit­en. Singen kann er. Die Knie und die Hüfte mögen nicht mehr so elastisch sein wie früher, doch stimmlich ist Diamond mit seinen 76 Jahren in Bestform.

Das bewies er mit einem fast 30 Songs umfassende­n Best-of-Programm im Rahmen seiner 50 Year Anniversar­y World Tour. Vor gut 50 Jahren, 1966, debütierte der New Yorker mit dem Album The Feel of Neil Diamond. Das bescherte ihm mit Cherry, Cherry, Oh No No und Solitary Man gleich drei Hits, ein Schnitt, den Diamond über viele Jahre und Alben halten sollte und der ihn in den frühen 1970ern zum Superstar machte. Ein Status, den er bis heute hält und der ihm, wenn er ein Album veröffentl­icht, traditione­ll einen Platz in den Charts sichert, oft war es der ganz oben. An die 140 Millionen Alben soll der Mann ver- kauft haben. Mit sanften, eingängige­n Popsongs, meist auf Folkrockba­sis, veredelt von einer einnehmend­en Stimme. Popmusik familienfr­eundlich.

Seichte Schunkler

Aus dem Grund wurde der 1941 geborene Sänger und Songwriter oft als Hausfrauen­sexgott denunziert. Doch das ist nicht der schlechtes­te Ruf, fragen Sie einen Briefträge­r.

Ungleich verlässlic­her lieferte Neil Leslie Diamond Hits ab. Dass viele davon in keinem Schlagerka­russell negativ auffallen würden, also doch etwas seichte Schunkler sind, offenbarte­n Lieder wie Forever in Blue Jeans. Ein so schlichter wie wirkungsvo­ller Hit aus dem Jahr 1978, bei dem der Saal sich klatschend auf die Suche nach dem Takt begab.

Vor seiner zwölfköpfi­gen Band durchmaß Diamond – legeres Outfit, Dreitageba­rt – derweil die Bühne und sah großzügig über das ungelenke Gepasche hinweg. Bei Balladen wie Play Me sang der Saal ergeben mit, da wurden ein paar Taschentüc­her gezückt, ein paar Tränen zerdrückt, das eine oder andere Kinn bebte. Denn Diamond ist mehr als bloß ein Star.

Seine Musik begleitete die Biografie von vielen wie ein verlässlic­her Freund. Diamond ist eine Art Souverän. Keine Skandale, attraktiv, ein höflicher und sensibler Mann, der schon als Teenager, daheim in Brooklyn, eher mit Gedichten als mit seinen Fäusten überzeugte. In dieser Schnittmen­ge konnte der Abend nur ein Erfolg werden, mit ewigen Songs wie Solitary Man, I’m a Believer, Beautiful Noise, Song Sung Blue und, und, und. Dazwischen immer wieder Standing Ovations.

Einen Hänger leistete sich Diamond, als er drei Songs aus dem Soundtrack von Jonathan Livingston Seagull spielte. Die waren ein bisschen unteraufre­gend. Während der Film 1973 floppte, geriet Diamonds Soundtrack dennoch zum Hit. Was der Mann anfasst, so scheint es, wird zu Gold.

Fußabdruck in „Pulp Fiction“

Oft musste er dafür nicht einmal selbst singen. Schon früh schrieb er Songs, die andere in Hits verwandelt­en. Später, in den 1990ern, hinterließ er über die Band Urge Overkill (Girl, You’ll Be a Woman Soon) seinen Fußabdruck in Quentin Tarantinos Blockbuste­r Pulp Fiction, und sogar im Noiserock der 1980er schlug er auf, als die Band Killdozer sein I Am ... I Said ungespitzt in den Boden rammte. Das Original war in der Stadthalle ebenfalls zu hören.

Zu dem Zeitpunkt hatte sich Diamond nach der Möwe-JonathanLä­hmung wieder gefangen und gab ein paar Songs seines Welterfolg­es von 1972, des Livealbums Hot August Night: Das forsche Crunchy Granola Suite, Done Too Soon oder Holly Holy. Und eben I Am ... I Said. Dabei stand er allein mit seiner Gitarre im Lichtkegel des Scheinwerf­ers und ließ sich und diesen Evergreen wirken. Jubel und, logisch, stehender Applaus.

Das war der Endspurt, im Zugabentei­l kam dann Sweet Caroline, ohne das kein Neil-Diamond-Konzert zu Ende geht. Der sanfte Gigant verneigte sich, winkte und ging ab. Ein Guter – aber das haben ja alle schon vorher gewusst.

 ??  ?? Neil Diamond in der Wiener Stadthalle. Schon seine Erscheinun­g auf der Bühne sorgte für stehenden Applaus im Saal. Der Abend erwies sich als Heimspiel – mit einem kleinen Hänger.
Neil Diamond in der Wiener Stadthalle. Schon seine Erscheinun­g auf der Bühne sorgte für stehenden Applaus im Saal. Der Abend erwies sich als Heimspiel – mit einem kleinen Hänger.

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