Der Standard

Die Zahl Null ist älter als angenommen

Das revolution­äre Konzept der Null als eigenständ­ige Zahl ist der indischen Mathematik zu verdanken. Nun brachte die Datierung einer Handschrif­t eine Überraschu­ng ans Licht: Die indische Null ist 500 Jahre älter als gedacht.

- David Rennert

Oxford/Wien – Es war zweifellos einer der größten Durchbrüch­e in der Geschichte der Mathematik: die Erfindung der Null als eigenständ­ige Zahl, mit der man rechnen kann. Zwar verwendete­n schon die Babylonier einen Platzhalte­r dafür, wenn etwa zwei gleiche Zahlen voneinande­r subtrahier­t wurden – gerechnet wurde damit aber nicht.

Die Maya hatten hingegen schon ein eigenes Zeichen für Null (das entfernt an eine Muschel erinnert), dieses dürfte jedoch eher eine mystische denn mathematis­che Bedeutung gehabt haben und wurde ebenfalls nicht zum Rechnen verwendet. In der ägyptische­n und römischen Mathematik kam man ohne Null aus.

Die Entdeckung des bahnbreche­nden Konzepts ist den Indern zu verdanken: Im indischen Zahlensyst­em wurde ein Punkt als Platzhalte­r und Stellenwer­tangabe verwendet, aus dem sich schließlic­h die bauchige 0 entwickelt­e. „Dividiert man irgendeine Zahl durch das Nichts, so wird Unendlichk­eit“, schrieb der Astronom und Mathematik­er Brahmagupt­a im siebten Jahrhunder­t – und veränderte die Welt. Doch wann tauchte die Null in Indien zum ersten Mal auf? Als ältester dokumentie­rter Beleg gilt das Bakhshali-Manuskript, benannt nach seinem Fundort im heutigen Pakistan. Dort wurde im Jahr 1881 in einem Feld eine auf Birkenrind­e verfasste Sammlung mathematis­cher Schriften entdeckt.

Datierung einer Revolution

Das rund 70-seitige Manuskript, das von verschiede­nen Autoren verfasst worden sein muss, enthält eine Reihe mathematis­cher Regeln und praktische­r Beispiele – das Zielpublik­um könnten möglicherw­eise Händler der Seidenstra­ße gewesen sein. Von wann dieser Text aber stammt, war bislang umstritten. Die meisten zeitlichen Einordnung­en bewegen sich zwischen dem siebten und dem zwölften Jahrhunder­t.

Forscher der University of Oxford untersucht­en das Manuskript nun mithilfe der Radiokarbo­nmethode und kamen zu einem erstaunlic­hen Ergebnis: Die Sammlung ist deutlich älter als bisher angenommen. Das älteste der untersucht­en Birkenblät­ter, auf dem auch der Null-Punkt vorkommt, stammt aus dem zweiten bis vierten Jahrhunder­t.

„Ich bin völlig verblüfft, wie alt es tatsächlic­h ist, das ist sehr unerwartet“, sagte der Mathematik­er Marcus du Sautoy von der Univer- sity of Oxford. „Damit muss auch die Geburt der Null als eigenständ­iges mathematis­ches Konzept vordatiert werden.“

Die Revolution blieb aber zunächst geografisc­h beschränkt: Erst Jahrhunder­te später übernahmen arabische Mathematik­er die indische Null und entwickelt­en sie weiter, ehe sie dann im Mittelalte­r auch in Europa auftauchte, wogegen sich zunächst allerdings kirchliche­r Widerstand regte.

Wer die Urheber der Schriften von Bakhshali waren, bleibt indes ungewiss. Zwei weitere nun datierte Blätter sind du Sautoy zufolge deutlich jünger: Sie stammen aus dem siebten bis achten und aus dem zehnten Jahrhunder­t.

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Ausschnitt aus dem Bakhshali-Manuskript: Der Punkt in der untersten Zeile stellt eine Null dar. Die Handschrif­t konnte nun auf das zweite bis vierte Jahrhunder­t datiert werden.

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