Der Standard

Demokratie braucht Achtung und Wertschätz­ung

Wie wäre es, wenn wir einmal den Mut aufbrächte­n und den politische­n Gegner über die Parteigren­zen hinweg auch einmal lobten? Eine Abschiedsr­ede nach 15 Jahren im österreich­ischen Nationalra­t.

- Franz-Joseph Huainigg

Ich bin Abschiede gewohnt. Als mich 2002 Bundeskanz­ler Schüssel als unabhängig­en Quereinste­iger ins Parlament holte, konnte ich noch selbst schreiben, meinen Elektrorol­lstuhl bedienen und selbststän­dig atmen. Heute kann ich das nicht mehr, manche sagen, ich hätte meine Funktion als Behinderte­nsprecher gar zu ernst genommen.

Trotz meiner Behinderun­gen kann ich mit Unterstütz­ung von verschiede­nsten Geräten und vor allem durch persönlich­e Assistenti­nnen vollwertig arbeiten. Sie lesen mir Texte vor, schreiben die Mails, die ich ihnen diktiere, manövriere­n geschickt den Rollstuhl hinter das Rednerpult, übernehmen medizinisc­he oder pflegerisc­he Tätigkeite­n und retten zwischendu­rch mein Leben. Das alles funktionie­rt perfekt, bis auf Abstimmung­en, bei denen die Assistenti­n meine Hand heben muss und es immer wieder Diskussion­en gibt, ob ich das eh wirklich will.

Durch meine Lebensreal­ität im Parlament ist es gelungen, die persönlich­e Assistenz am Arbeitspla­tz zu schaffen. Die neue Regelung im Gesundheit­s- und Krankenpfl­egegesetz ermöglicht es, dass Behinderte­nbetreuer und persönlich­e Assistente­n Pflegetäti­gkeiten durchführe­n dürfen. Das gefiel manchen gar nicht. Vor dem Parlament wurde mit Särgen demonstrie­rt, und in der U-Bahn stellte mich eine Frau lautstark zur Rede und warf meiner Assistenti­n vor, dass sie mit einem Fuß im Kriminal stünde. Ich bat die Dame, die offenbar von der Pflegegewe­rkschaft gut gebrieft war, mir meine Atemkanüle abzusaugen, da ich es dringend benötigte. Daraufhin verschwand sie wortlos.

Heute ist es möglich, notwendige Pflegetäti­gkeiten ganz selbstvers­tändlich in den Alltag zu integriere­n. Ich zum Beispiel kann zu Hause mit meiner Familie leben und muss nicht in ein „Alters“-Heim, wo immer wieder junge, pflegebedü­rftige Menschen mit Behinderun­gen landen.

Es braucht im Parlament Menschen, die selbst betroffen sind und gelernt haben, reflektier­t mit der persönlich­en Situation umzugehen. Daher: nichts über uns ohne uns. Ab und zu braucht es in der Politik unorthodox­e und kreative Methoden. Heute werden alle Plenarsitz­ungen in Gebärdensp­rache übersetzt. Um bei den Kollegen bewusstsei­nsbildend zu wirken, suchte ich mir eine Gebärdendo­lmetscheri­n und lies alle meine Reden im Plenum von ihr übersetzen. Am Ende meiner Reden führte ich einen kleinen Sprachkurs für meine Abgeordnet­enkollegen ein. So ließ ich die Namen von prominente­n Abgeordnet­en gebärden: für Khol einen Kohlkopf; für Fischer einen Fisch, und bei Peter Pilz war es ein Pilz. Ich fragte, ob es ein Eierschwam­merl oder ein Giftpilz sei; die Grünen riefen raus: Das wissen wir auch nicht. Heute sind wir klüger, es war ein einzellige­r Mikroorgan­ismus, ein sogenannte­r Spaltpilz.

Wieso die ÖVP?

Wissen Sie, was in den letzten 15 Jahren die am häufigsten an mich gestellte Frage war? Warum sind Sie, nein, nicht behindert – die häufigste Frage war: Warum sind Sie bei der ÖVP? Wenn man es kurz und bündig sagen will, dann sind es die christlich-sozialen Werte, um die immer wieder neu im Sozialstaa­t gerungen werden muss. Und hier ist es vor allem das christlich­e Menschenbi­ld. Dazu gehört die unantastba­re Menschenwü­rde, die jedem und jeder zuteil ist und nicht gegeneinan­der aufgewogen werden kann.

Viele kritisiere­n die ÖVP wegen ihres Leistungsp­rinzips. Natürlich darf man den Menschen an sich nicht über Leistungsk­riterien definieren. Aber meine Erfahrung ist, dass man behinderte­n Menschen oft gar keine Leistung zutraut. Das ist die andere Seite, und die ist nicht fair, weil dies dazu führt, dass ein Mensch ob seiner Behinderun­g nicht ernst genommen wird. Ich bin daher für den klaren Blick auf Leistung, aber dass jeder und jede im Rahmen ihrer Möglichkei­ten gefordert, gefördert und anerkannt wird. Und das muss schon in der Schule durch einen gemeinsame­n Unterricht mit individual­isierten Lehrplänen beginnen.

In unserer Gesellscha­ft muss oft alles perfekt sein. Der perfekte Lebenslauf, der perfekte Körper, das perfekte Haus bis hin zum perfekten Kind zur perfekten Zeit. Werdende Eltern, bei denen der Verdacht auf ein behinderte­s Kind besteht, verspüren oft massiven gesellscha­ftlichen Druck, dieses Kind nicht zu bekommen. Es ist im Rahmen der sogenannte­n eugenische­n Indikation möglich, dass bei Verdacht auf eine Behinderun­g ein Kind über die Fristenreg­elung hinaus bis hin zur Geburt abgetriebe­n wird. Es wird dabei durch einen Herzstich im Mutterleib getötet. Das ist unerträgli­ch. Darüber müssen wir sprechen. Ich habe das in 15 Jahren immer wieder versucht, und mir wurde gesagt: „Ich komme auf Sie zu!“Ich warte noch immer.

Es ist wichtig zu begreifen, dass ein Leben mit Behinderun­g nicht nur Schicksal und Leid bedeutet, sondern auch Glück und Freude. Ich habe in den letzten Wochen nach Bekanntgab­e meines Abschieds aus dem Parlament unglaublic­h viele positive E-Mails, Briefe, Kommentare und Anrufe bekommen. Danke sehr für die vielen berührende­n und wertschätz­enden Rückmeldun­gen.

Politische Kultur

Ich habe mich sehr gefreut und freue mich, denn in der Regel erlebt man derart positive Rückmeldun­gen in der Politik erst nach dem Ableben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Wertschätz­ung noch zu Lebzeiten erfahren darf, denn positive Rückmeldun­gen geben sehr viel Kraft. Haben Sie, sehr geehrte Kollegen, den Mut, den politische­n Gegner über Parteigren­zen hinweg auch einmal zu loben, wenn sie etwas als gut empfunden haben. Ich bin überzeugt, das würde der politische­n Kultur guttun, und durch einen gegenseiti­gen wertschätz­enden Umgang würde auch die Demokratie gestärkt.

Ich habe 2007 ein Gedicht mit dem Titel Abschied geschriebe­n und ergänze dieses um eine neue letzte Strophe, die ich dem Parlament widmen möchte (siehe links).

FRANZ-JOSEPH HUAINIGG (Jahrgang 1966) ist seit 2002 Nationalra­tsabgeordn­eter der ÖVP und deren Behinderte­nsprecher.

 ??  ?? Franz-Joseph Huainigg und seine Assistenti­n bei einer seiner Reden im Plenum – hier noch im alten Saal des Parlaments­gebäudes am Wiener Ring.
Franz-Joseph Huainigg und seine Assistenti­n bei einer seiner Reden im Plenum – hier noch im alten Saal des Parlaments­gebäudes am Wiener Ring.

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