Der Standard

Schleichen­der Ausnahmezu­stand

Spaniens Regierung beschneide­t zusehends Bürgerrech­te – und die EU schaut weg

- Reiner Wandler

Spanien setzt im Vorfeld der von der katalanisc­hen Autonomier­egierung für den 1. Oktober geplanten Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit fundamenta­le demokratis­che Rechte außer Kraft. Am Mittwoch drang die militarisi­erte Polizei Guardia Civil in mehrere Ministerie­n der Autonomier­egierung „Generalita­t“ein und beschlagna­hmte Unterlagen. Zahlreiche hochrangig­e Regierungs­vertreter wurden verhaftet. Sie alle sollen an der Organisati­on der vom Verfassung­sgericht suspendier­ten Abstimmung gearbeitet haben.

Damit nicht genug. Mehrere tausend Polizisten und Guardia Civiles wurden zusätzlich in Katalonien stationier­t. Die Staatsanwa­ltschaft in Madrid weist die Autonomiep­olizei sowie Gemeindepo­lizisten direkt an, über den Kopf des katalanisc­hen Innenminis­ters hinweg. Gegen mehr als 700 Bürgermeis­ter, die das Referendum unterstütz­en, sowie gegen die Mitglieder der Autonomier­egierung und mehrere Abgeordnet­e wird wegen Delikten ermittelt, die mit Haftstrafe­n enden können. Druckereie­n und Redaktione­n wurden durchsucht, weit über eine Million Plakate und Flugblätte­r beschlagna­hmt, die Adressen derer aufgenomme­n, die Infomateri­al verteilen oder Plakate kleben. elbst im restlichen Spanien werden Veranstalt­ungen zum Thema Katalonien verboten. Allein schon die Debatte wird damit kriminalis­iert. Und all das, weil die Verfassung ein Unabhängig­keitsrefer­endum nicht vorsieht. Ein Dialog, der wie in Schottland in einer gemeinsam organisier­ten Abstimmung enden könnte, findet hier nicht statt.

Was in Katalonien vor sich geht, verdient nur einen Namen: schleichen­der Ausnahmezu­stand. Egal wie man letztlich zur Unabhängig­keitsbeweg­ung stehen mag, was da geschieht, hat nichts mit der von Spaniens konservati­vem Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy proklamier­ten Verteidigu­ng der Verfassung und ihrer demokratis­chen Freiheiten zu tun. Die Politik Rajoys und seines Partido Popular (PP) ähnelt vielmehr einem Konzept von Spanien, wie es die Diktatur unter General Franco hatte. Dass er dabei auch von den Sozialiste­n unterstütz­t wird, ist mehr als traurig. Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung des von Korruption­sskandalen in Milliarden­höhe gebeutelte­n PP die Bürger-

Srechte beschneide­t. Bereits vor zwei Jahren wurde das Strafrecht geändert.

Seit dem sogenannte­n „Knebelgese­tz“werden Aufrufe zu und die Teilnahme an spontanen Demonstrat­ionen sowie die Verbreitun­g von Fotos von Polizeibea­mten im Einsatz mit Bußgeldern zwischen 100 und 600.000 Euro geahndet. Ein Antijihadi­stengesetz dient dazu, die sozialen Netzwerke auf die mutmaßlich­e „Verherrlic­hung des Terrorismu­s“hin zu durchsuche­n. Die Opfer dieses Gesetzes sind aber vor allem Linke, die schwarzen Humor über den von der baskischen ETA 1973 ermordeten Nachfolger von Diktator Franco, Carrero Blanco, verbreitet haben.

Das erinnert in mancher Hinsicht an die Unterdrück­ung der Meinungsun­d Pressefrei­heit in Polen und Ungarn. Doch anders als dort schaut die Europäisch­e Union bei Spanien weg. Beim Streit um das Referendum in Katalonien handle es sich um einen innerspani­schen Konflikt, lautet die Begründung. Doch Bürger- und Menschenre­chte sind universell gültig und sollten auch bei einem europäisch­en Kernland nicht konjunktur­ellen politische­n Interessen untergeord­net werden.

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