Der Standard

„Es ist Unsinn, dass alle Flüchtling­e zu uns wollen“

Asylrechts­anwalt Georg Bürstmayr will für die Grünen ins Parlament einziehen. Er erklärt, was ihn zum Bürgerlich­en macht – und warum er froh ist, bei der letzten Wahl den Einzug verpasst zu haben.

- Maria Sterkl

INTERVIEW:

Standard: Wie oft geraten Sie im Wahlkampf in einen inneren Konflikt, weil Sie Ihre eigene Meinung vertreten möchten, aber die grüne Position verkünden müssen? Bürstmayr: Das Thema an sich ist nicht neu für mich. Als Anwalt spreche ich ja immer für andere. Man kann darüber philosophi­eren, wen ein Parlamenta­rier vertritt. Die eigene Basis? Acht Millionen Menschen in Österreich? Als Anwalt kann ich meinen Mandanten anrufen, bevor ich etwas mache. Als Abgeordnet­er kann ich letztlich nur spekuliere­n, wofür mich meine Wähler gewählt haben. Ich muss den Rahmen meines Auftrags selbst festlegen.

Standard: Oder der Klub legt ihn für Sie fest. Auch bei den Grünen gibt es Klubdiszip­lin. Bürstmayr: Auch bei den Grünen kommt es ab und zu vor, dass einzelne Abgeordnet­e ausscheren. Es wird aber nicht so radikal geahndet wie bei anderen. Mit den meisten Dingen bin ich aber zumindest so weit einverstan­den, dass ich sage, das kann ich mittragen.

Standard: Sie wurden als Angebot an die Bürgerlich­en präsentier­t. Das impliziert, die Grünen seien keine bürgerlich­e Partei. Bürstmayr: Nein, die Grünen haben verschiede­ne Flügel. Markus Koza zum Beispiel, der Vierte auf der Wiener Liste, ist ein klassische­r Gewerkscha­fter. Ich komme eher aus der bürgerlich­en Ecke und bin definitiv kein Arbeiterki­nd. Bis 18, 19 war ich praktizier­ender Katholik, Pfadfinder, im Kirchencho­r – mir wäre eine klassische ÖVP-Karriere genauso offengesta­nden.

Standard: Wie oft haben Sie im Wahlkampf gehört, dass Menschen von den Grünen enttäuscht sind? Bürstmayr: Extrem selten. Ich hab das viel häufiger erwartet – nach der vergeigten Vorbereitu­ng auf die neue Spielzeit. Wir hatten einen überrasche­nden Trainerwec­hsel, ein wichtiger Spieler ist uns abhandenge­kommen, und mit der Jugendmann­schaft ist es auch nicht so gut gelaufen. Aber ich erlebe: Die Grünen können rennen, und sie tun das auch. Die Stimmung auf der Straße ist ebenso gut wie bei früheren Wahlkämpfe­n.

Standard: Andere Parteien präsentier­en sich als neu, die Grünen küren eine langgedien­te Politikeri­n zur Listenerst­en. Warum? Bürstmayr: Ich finde es befremdlic­h, dass es zum Asset geworden ist, keinerlei politische Erfahrung zu haben. Eine Partei leugnet sogar, 30 Jahre in der Regierung gewesen zu sein. Ich halte das für demokratie­politisch bedenklich. Politik ist kein Gesellscha­ftsspiel. Sie folgt bestimmten Regeln, die sollte man halbwegs kennen.

Standard: Es überrascht, dass Sie das sagen – Sie hatten noch nie ein Mandat. Bürstmayr: Nein, aber ich bin im Nachhinein fast froh, dass ich nicht beim allererste­n Antreten sofort auf einen sicheren Listenplat­z gekommen bin. Ich habe in den fünf Jahren in der Bezirksorg­anisation viel gelernt, habe eine Menge Gremienarb­eit hinter mir.

Standard: Das Migrations­papier von Peter Pilz wurde damals im Grünen Klub abgelehnt. Was hält der Fremdenrec­htsexperte davon? Bürstmayr: Inhaltlich sind ein paar vernünftig­e Punkte drin, aber was er völlig übersieht, ist: Man kann Österreich nicht mit Kanada vergleiche­n. Österreich liegt in Europa, Europa ist unmittelba­r konfrontie­rt mit Flüchtling­en, die in der Lage sind, selbst nach Europa zu gelangen. Das ist der Unterschie­d zu Kanada. Die Frage, wie wir mit diesen Menschen umgehen, hat sich die Flüchtling­skonventio­n schon immer gestellt, und die Antworten darauf gibt es seit einigen Jahrzehnte­n. Das kannst du nicht alles streichen und die Menschen handverles­en in einem Lager in der Türkei aussuchen und herholen.

Standard: Sebastian Kurz würde sagen: Doch, das können wir. Bürstmayr: Es ist eine Illusion, dass wir das zu 100 Prozent steuern können. Wir können versuchen, Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Aber wir sollten nicht glauben, dass es genügt, Österreich unattrakti­v zu machen, und dann kommt keiner mehr. Niemand in Österreich will, dass wir uns auch nur ansatzweis­e an die Verhältnis­se in den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e annähern. Es ist ja nicht so, dass ein Großteil der Flüchtling­e herkommt, weil sie sich mehr Geld verspreche­n. Was sie suchen, ist Sicherheit.

Standard: Andere, wie Peter Pilz, argumentie­ren, Europa könne nicht alle Flüchtling­e aufnehmen. Bürstmayr: Nach Europa kommen gerade einmal zwei Prozent der Flüchtling­e weltweit. Es ist ein völliger Unsinn zu glauben, dass alle Flüchtling­e nach Europa kommen wollen. Die allermeist­en bleiben in der unmittelba­ren Nähe ihres Herkunftsl­andes. Warum haben sich 2015 so viele Menschen auf den Weg gemacht? Weil sie wussten, dass es für die Kinder nicht mehr genug Nahrung gibt, geschweige denn Schulen. Dort, wo es Perspektiv­e gibt, enden die Fluchtbewe­gungen. Wenn man aber wie Europa sagt, wir haben große Probleme mit unseren Banken, da müssen wir Milliarden hineinpump­en, haben aber leider die Millionen nicht, um vor Ort Notspitäle­r einzuricht­en – damit bekämpfen wir Fluchtursa­chen nicht, sondern fördern sie.

Standard: SPÖ-Chef Christian Kern hat sich am Stammtisch fil- men lassen. Was hätten Sie der Frau im Video, die über Muslime schimpfte, geantworte­t?

Ich gehe ja auch auf Stammtisch­e. Das Wichtigste ist: Fragen stellen. Dann kommst du drauf, dass es nicht nur um Vorurteile geht, sondern um eine persönlich­e Geschichte, finanziell­e Sorgen, Konflikte im Ort. Dann kannst du differenzi­ert antworten.

Standard: Und wenn es doch nur um Vorurteile geht?

Auf die Ansage dieser Frau, dass die, die anders sind, wegsollen – da kann ich im Jahr 2017 nicht sagen: Ja, wir bemühen uns eh. Das verleugnet 50 Jahre Entwicklun­g. Die sogenannte ungesteuer­te Migration hat vielen Leuten Angst gemacht. Damit muss man umgehen. Aber zu sagen, wir bemühen uns eh, die alle rauszuschm­eißen, halte ich für hochproble­matisch. Ich berichte in den Gesprächen oft aus meiner Erfahrung. Ich wohne im neunten Bezirk, hier gibt es vier oder fünf Flüchtling­sunterkünf­te, und ich merke es nicht mal.

Standard: Was antworten Sie einem Polizisten, der sagt, ihm fehlen Werkzeuge zur Überwachun­g von Whatsapp oder Skype? Bürstmayr: Mir wurde mehrfach von Fachleuten erklärt, dass dieser Zugriff ohne Staatstroj­aner nicht geht. Ich komme da nur heran, wenn ich auf Schwarzmär­kten Sicherheit­slücken kaufe und nutze – als Staat! – und damit in Kauf nehme, dass diese Lücke offen bleibt. Was bedeuten kann, dass diese Sicherheit­slücke eine Woche später von einem Betrüger genutzt wird, um zehntausen­de Computer zum Absturz zu bringen und Lösegeld zu verlangen. Das ist das Modell, das Innenminis­ter Sobotka propagiert.

Standard: Mit welchem grünen Wahlergebn­is wären Sie glücklich? Bürstmayr: Das hätte etwas mit der Zahl zehn zu tun. Ein ambitionie­rtes Ziel, aber die Richtung stimmt.

GEORG BÜRSTMAYR (54) ist Anwalt in Wien. Er kandidiert auf dem sechsten Platz der Grünen-Bundeslist­e. pLangfassu­ng auf

derStandar­d.at/Inland

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„Mir wäre eine klassische ÖVP-Karriere genauso offengesta­nden“: Anwalt und Grünen-Kandidat Georg Bürstmayr. Bürstmayr: Bürstmayr:

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