Der Standard

„Diese Staaten sprengen die Union“

Peter Pilz, Spitzenkan­didat seiner eigenen Liste, will den Visegrád-Ländern EU-Gelder streichen, weil sie kaum Flüchtling­e aufnehmen. Heimische Lehrer sollen Asylwerber in Lagern auf Österreich vorbereite­n.

- INTERVIEW: Peter Mayr, Nina Weißenstei­ner

STANDARD: Treibt Sie seit Ihrem Antreten mit eigener Liste jemals die Sorge um, eventuell als eine Art grüner Haider in die Geschichte einzugehen – der seine Expartei gespalten und arg beschädigt hat? Pilz: Nein. Denn der Schaden für die Grünen ist schon lange davor eingetrete­n – der grüne Film ist schon bei den Landtagswa­hlen in Oberösterr­eich und in Wien 2015 gerissen. Im Mai 2017 war klar, dass bereits die Hälfte der grünen Wählerscha­ft weg war.

STANDARD: Zuletzt tauchte von Ihnen als ehemaliger Grüner ein Papier zur Asylpoliti­k mit dem Titel „Österreich zuerst“auf – just der Name des einst von Ihnen bekämpften Antiauslän­dervolksbe­gehrens der FPÖ. Pilz: Im Vorjahr habe ich dieses Papier an acht Leute im grünen Klub geschickt. Mit dem Titel wollte ich ein Nachdenken darüber provoziere­n, ob wir die Ängste der Menschen wirklich der FPÖ überlassen sollen. Aber unser Parteivors­tand wollte nichts davon wissen.

STANDARD: Wann konkret hat sich bei Ihnen in der Asylkrise ein Schalter umgelegt, nachdem Sie ja zuvor sogar Flüchtling­e an der Grenze im Auto mitgenomme­n haben? Pilz: Wichtig war für mich, dass hierzuland­e die Angst von Frauen auf den Straßen steigt – auch vor Männern, die nicht integriert sind. Dazu kam ein Besuch im größten Flüchtling­slager in Jordanien. Dort wurde mir klar, dass sich starke junge Männer auf der Balkanrout­e durchkämpf­en – und die Frauen mit kleinen Kindern im Lager hängen bleiben.

STANDARD: Oft werden junge Männer aber von ihren Familien nach Europa losgeschic­kt, damit sie dann ihre Angehörige­n nachholen können. Pilz: In den Lagern sitzen großteils Frauen mit ihren Kindern, deren Väter im Krieg in Syrien gefallen sind, fest. Gerade diese Menschen hätten die besten Integratio­nschancen. Aber solange es nur illegale Fluchtwege gibt, kommen nur die Stärksten durch. STANDARD: Deswegen wollen Sie nun Flüchtling­e in den Lagern aussuchen, die auf Österreich vorbereite­t werden sollen. Was sollen die da lernen – und von wem? Pilz: Sie sollen vor Ort Deutsch lernen und über die Regeln unserer Kultur wie die Gleichbere­chtigung der Frauen aufgeklärt werden – von Lehrern. Davor sollen österreich­ische Beamte dort die Asylverfah­ren durchführe­n. Kanada hat dafür einen Hangar am Flughafen von Amman angemietet. Denn eine europäisch­e Lösung scheitert ja an den Freunden von ÖVP-Chef Kurz und FPÖ-Chef Strache in den Visegrád-Staaten, also Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn.

STANDARD: Sie haben eine faire Flüchtling­sverteilun­g also schon abgeschrie­ben? Pilz: Wir haben in dieser Frage kein gemeinsame­s Europa. Deswegen müssen wir endlich klarmachen, dass das zutiefst unsolidari­sche Verhalten nicht mehr hingenomme­n wird. Staaten wie Österreich und Deutschlan­d finanziere­n über die EU 15 Prozent des polnischen Budgets, das kann man auch auf null setzen, solange Warschau nur unser Geld, aber nicht unsere Flüchtling­e will.

STANDARD: Das würde aber letztendli­ch die EU zerreißen. Pilz: Diese Staaten sprengen die Union. Ich habe ihre schnelle Aufnahme immer schon skeptisch gesehen. Weniger Erweiterun­g und mehr Vertiefung der EU wäre besser gewesen.

STANDARD: Gehört der Islam für Sie zu Österreich? Pilz: Der Islam ist seit über hundert Jahren in Österreich. Der ist einfach da – wie die Kopftücher unserer Altbäuerin­nen.

STANDARD: Aber religiöse Kindergärt­en würden Sie jetzt am liebsten abschaffen? Pilz: Ich halte nichts von solchen religiösen Einrichtun­gen, denn die Kinderbetr­euung ist eine öffentlich­e Aufgabe. Daher möchte ich, dass es von der Stadt Wien für jedes Kind ein entspreche­ndes Angebot gibt. Und ich möchte alle Einrichtun­gen schließen, die von Erdogan-Vereinen oder mit saudischen Geldern betrieben werden.

STANDARD: Katholisch­e Kindergärt­en sehen Sie nicht so skeptisch? Pilz: Der Konflikt mit den Kirchen ist hier längst zugunsten des säkularen Staates ausgegange­n. Das ist beim Islam anders. Der Islam muss durch eine Phase der Aufklärung hier in Europa gehen. Ich hoffe, dass irgendwann ein aufgeklärt­er Islam in die Herkunftsl­änder exportiert werden kann.

STANDARD: Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat gemeint, dass Frauen vielleicht bald aus Solidaritä­t mit Musliminne­n ein Kopftuch aufsetzen müssen. Zu Recht – oder hätte er besser geschwiege­n? Pilz: Ich bin ein so ehrfürchti­ger Mensch, dass ich dem Bundespräs­identen niemals öffentlich widersprec­hen würde. Was das Kopftuch betrifft, bin ich im öffentlich­en Dienst, etwa am Gericht, bei der Polizei und in den Schulen, für klare Verhältnis­se – und damit für ein Verbot.

Standard: Sie verfügen über beste Kontakte zu den Boulevardm­edien. Trägt deren Berichters­tattung wie jetzt im Wahlkampf nicht zum Verfall des politische­n Klimas bei? Pilz: Ich bin vielleicht der einzige Politiker, der auch eine ganze Reihe von Konflikten mit der Krone und Österreich öffentlich ausgetrage­n hat. Zum Verfall der politische­n Kultur trägt jede Verfilzung der Berichters­tattung mit den Inserateng­eschäften bei. Doch derzeit ist die Krone für mich im Vergleich zur ORF-Führung ein Leuchtturm journalist­ischer Unabhängig­keit. Denn weder in der Krone noch in Österreich hat der Kanzler zu bestimmen, wer an politische­n Duellen teilnimmt oder nicht. Im ORF schon.

Standard: Haben Sie nicht allzu oft einen Hang zur Übertreibu­ng – seit Jahren gilt der Klubstatus doch als Voraussetz­ung für die Teilnahme an den TV-Konfrontat­ionen? Pilz: Ich? Hang zur Übertreibu­ng?

Standard: Ja! Pilz: Eine Änderung des Geschäftso­rdnungsges­etzes verhindert seit 2013, dass Abgeordnet­e einen neuen Klub bilden können. Der ORF redet sich darauf aus und hilft, dass das Neue möglichst wenig Chance hat. Jetzt haben wir

mithilfe von Karl Öllinger (von den Grünen, Anm.) eine Verfassung­sbeschwerd­e gegen ein Zweiklasse­nsystem im Parlament eingebrach­t.

Standard: ORF-Bashing betreibt eigentlich immer die FPÖ. Pilz: Alle Medien halten sich ans ORF-Gesetz – nur der ORF nicht. Ich akzeptiere das nicht.

Standard: Kritik gab es bereits daran, dass die Liste Pilz nur vier Parteimitg­lieder haben will – was ihr jedoch den Status einbringt, um neben der Klubförder­ung auch Parteienfö­rderung zu erhalten. Ist das als vorderster Saubermann der Republik geschickt?

Pilz: Fest steht, dass wir Geld für den Aufbau eines großen Netzwerks brauchen werden, da wir keine klassische Partei sind. Die Liste soll für alle offen sein – für Informatio­n, für gemeinsame Aktionen und Willensbil­dung.

Standard: Das klingt stark nach der Liste Gilt von Roland Düringer. Pilz: Keineswegs, wir verlosen keine Mandate. Und wir wollen in ein unabhängig­es Onlinemedi­um mit einer klassische­n Redaktion investiere­n, mit Nachrichte­n und Dossiers zu neuen Schwerpunk­ten. Dazu finanziere­n wir einen Thinktank, der ein Gegenstück zur Agenda Austria wird – als Gegenpol zu den neoliberal­en Denkfabrik­en.

Standard: Sie versprache­n doch, sich für weniger Parteienfö­rderung starkzumac­hen. Pilz: Das geht auch mit einer halbierten Parteienfö­rderung.

STANDARD: Sie selbst haben keinen Euro für Ihre Liste gespendet? Pilz: Ich zahle ständig Rechnungen, ziemlich viele. Fahrten, Hotels, Verpflegun­g, ich finanziere meinen Wahlkampf mit – und spende jeden Tag.

Standard: Eine Reunion mit den Grünen ist für Sie ein- für allemal ausgeschlo­ssen? Pilz: Die grüne Tür ist hinter mir zu – wir gehen einen anderen Weg.

Standard: Wenn Sie den Einzug ins Parlament nicht schaffen – werden Sie dann Pensionist? Pilz: Wir schaffen es. Und dann sind wir der Gegenpol zu SchwarzBla­u.

PETER PILZ (63) war Gründungsm­itglied der Grünen, ehe er im Juli bekanntgab, mit eigener Liste bei der Nationalra­tswahl anzutreten. Er sitzt seit 1986 im Nationalra­t – unterbroch­en durch einige Jahre im Wiener Gemeindera­t.

Derzeit ist die „Krone“für mich im Vergleich zur ORF-Führung ein Leuchtturm journalist­ischer Unabhängig­keit.

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„Ich? Hang zur Übertreibu­ng?“: Pilz weist diesen Vorwurf zurück.

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