Der Standard

Hunderttau­sende demonstrie­ren für Einheit Spaniens

Mobilisier­ung vor Neuwahl in Katalonien Separatist­en beraten weiteres Vorgehen

- ANALYSE: Reiner Wandler aus Barcelona

Barcelona/Madrid – Nach wochenlang­en Protesten der Unabhängig­keitsbefür­worter sind am Samstag in Barcelona die Gegner einer Abspaltung von Spanien auf die Straße gegangen. Laut örtlichen Behörden lag ihre Zahl bei einer Million. Zuvor hatte die katalanisc­he Polizei von rund 300.000 Menschen gesprochen. Die Verfechter der spanischen Einheit sehen sich seit der Entscheidu­ng aus Madrid, Ende Dezember katalanisc­he Neuwahlen auszurufen, im Vorteil.

Die separatist­ische Regierung Katalonien­s, die Madrid am Freitag abgesetzt hatte, war in ihrer Planung eher von einer langen Periode zivilen Ungehorsam­s gegen Madrid ausgegange­n. Ob die Par- teien nun am 21. Dezember am Urnengang teilnehmen wollen, ist nicht sicher – am Wochenende liefen eilige Beratungen. Boykottier­t nur eine das Votum, wäre die Mehrheit wohl dahin. Umfragen vom Sonntag sahen erstmals wieder die Loslösungs­gegner voran.

Zugleich wächst aber der Protest gegen die Madrider Zwangsmaßn­ahmen. Die Regierung von Premier Mariano Rajoy hatte Freitagabe­nd nicht nur die Regierung abgesetzt, sondern auch das Regionalpa­rlament aufgelöst. Vizepremie­rministeri­n Soraya Sáenz de Santamaría übernahm die Geschäfte des abgesetzte­n Regionalpr­äsidenten Carles Puigdemont. (red)

Lauter waren in der Vergangenh­eit die Stimmen der Unabhängig­keitsbefür­worter Katalonien­s – am Sonntag zeigten die Unterstütz­er einer Einheit Spaniens in Barcelona aber deutlich Präsenz und schwenkten spanische und auch katalanisc­he und europäisch­e Fahnen. Laut Stadtpoliz­ei folgte eine Million Menschen dem Aufruf der Organisati­on mit dem Namen „Katalanisc­he Zivilgesel­lschaft“(SCC).

Einer der Hauptredne­r war der ehemalige Präsident des Europaparl­aments, der spanisch-katalanisc­he Sozialist Josep Borrell. Die Demonstran­ten riefen immer wieder: „Carles Puigdemont ins Gefängnis“und bezogen sich damit auf die Anklage wegen Rebellion gegen den abgesetzte­n Regionalpr­äsidenten.

Von politische­r Seite in Katalonien wurden vorerst keine neuen Weichenste­llungen unternomme­n. Denn der letzte Zug von Premier Mariano Rajoy am Samstag kam ohnehin unerwartet und saß.

Neuwahlen im Dezember

Er enthob nicht nur via Verfassung­sartikel 155 – wie zu erwarten war – die katalanisc­he Regierung unter Puigdemont ihres Amtes, er löste auch das Autonomiep­arlament auf und setzte für den 21. Dezember Neuwahlen an. Die Strategie der Unabhängig­keitsbeweg­ung, Madrid in einen langen Konflikt mit der Zivilgesel­lschaft zu verstricke­n, ist damit hinfällig.

Mitglieder der Katalanisc­hen Nationalve­rsammlung (ANC) oder von Òmnium, die das Rückgrat der Unabhängig­keitsbeweg­ung stellen, können nicht sagen, was jetzt passieren wird. Demonstrat­ionen, Blockaden, Generalstr­eik – auf all das waren sie eingestell­t, nur es fehlt an Aufrufen. Die Vorstände berieten, und es drang nichts nach außen durch.

Auch bei den Parteien herrscht Krise. Die Neuwahlen erwischen sie auf dem falschen Fuß. Puigdemont­s eher konservati­ve Demokratis­ch Europäisch­e Partei Katalonien­s (PDeCat) wollte eigentlich nicht erneut gemeinsam mit der Republikan­ischen Linken Katalonien­s (ERC) von Vize Oriol Junqueras im Bündnis Gemeinsam für das Ja (JxSí) antreten. Doch das könnte jetzt unumgängli­ch werden, um die Mehrheit im Parlament zu verteidige­n. Die Entscheidu­ng muss bald fallen. Listen müssen bis 6. November eingeschri­eben werden.

Die Wahlen stellen die Unabhängig­keitsbeweg­ung vor ein grundlegen­des Problem. Sie werden von Madrid organisier­t. Eine Beteili- gung käme der Anerkennun­g der spanischen Legalität und damit einer Absage an die soeben verkündete unabhängig­e Katalanisc­he Republik gleich. Aber ein Wahlboykot­t birgt die Gefahr, in völliger Belanglosi­gkeit zu verkommen.

Die katalanisc­he Presse berichtet von der Suche nach „einfallsre­ichen Lösungen“. Eine „Bürgerlist­e gegen den 155“mit bekannten Persönlich­keiten sei im Gespräch. Doch eine separatist­ische Mehrheit ist nur möglich, wenn die antikapita­listische Kandidatur der Volkseinhe­it (CUP) mitmacht. Und die neigt zum Wahlboykot­t.

„Demokratis­che Opposition“

Eine solche Bürgerlist­e würde auch zur Ansprache Puigdemont­s vom Samstag passen. Der abgesetzte „President de la Generalita­t“, wie er seinen offizielle­n Titel noch immer sieht, reiste nach der Unabhängig­keitserklä­rung nach Girona, wo er einst Bürgermeis­ter war. Dort genoss er auf dem Stadtfest ein Bad in der Menge, ließ sich beim Weintrinke­n und Essen filmen. Mit einer katalanisc­hen und einer europäisch­en Fahne an der Seite rief er übers Fernsehen nicht etwa zum „Ungehorsam“, sondern zur „demokratis­chen Opposition“auf. Alles, was Madrid auf der Grundlage des Artikels 155 tue, seien „Entscheidu­ngen, die dem Willen, den die Bürger unseres Landes an den Urnen zum Ausdruck gebracht haben, widersprec­hen“, erklärte Puigdemont.

Alles, was er fortan mache, sei nur noch gerichtlic­h verwertbar,

lautete darauf die Antwort aus Madrid. Die spanische Generalsta­atsanwalts­chaft wird am Montag die Klage wegen Rebellion gegen Puigdemont einreichen. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft. Festnahmen und U-Haft sind

nicht auszuschli­eßen. Der belgische Staatssekr­etär für Einwanderu­ng, Theo Francken, bot Asyl an.

Offiziell übernimmt seine Amtsgeschä­fte Spaniens Vizeregier­ungschefin Soraya Sáenz de Santamaría.

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„38 Prozent sind nicht Katalonien“, schrieben Demonstran­ten. Sie meinen damit das Resultat des Votums vom 1. Oktober, an dem sich 42 Prozent beteiligt und zu 90 Prozent für eine Abspaltung gestimmt haben.
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Mehr als eine Million Menschen eilten zur Einheits-Demo in Barcelona.

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