Der Standard

Island: Halbe Linkswende

Premier Bjarni Benediktss­on gewinnt Wahl, kann aber wohl nicht weiterregi­eren

- Andreas Stangl

Die Links-Grünen blieben bei den Wahlen hinter den Erwartunge­n, die Regierungs­partei siegte mit Verlusten.

Reykjavík/Graz – Die Wende in Island ist ausgeblieb­en – oder zumindest nicht in dem Maße eingetrete­n, das erwartet worden war. Zwar mussten die bisherigen Regierungs­partner bei den Wahlen am Wochenende herbe Verluste einstecken. Aber auch die LinksGrüne­n, die in Umfragen lange wie die kommenden Wahlsieger ausgesehen hatten, blieben hinter ihren Erwartunge­n. Die konservati­ve Unabhängig­keitsparte­i des Regierungs­chefs Bjarni Benediktss­on holte im Endspurt des Wahlkampfs überrasche­nd auf. Sie blieb mit 25,2 Prozent deutlich stimmenstä­rkste Partei.

Benediktss­on reklamiert­e umgehend den Wahlsieg für sich. Die Grünen von Ex-Bildungsmi­nisterin Katrín Jakobsdótt­ir verbessert­en mit 16,9 Prozent ihr Ergebnis vom vorigen Jahr nur leicht und mussten sich mit Platz zwei begnügen. Dennoch sah sich auch die 41-jährige Jakobsdótt­ir als Wahlsieger­in und erhob als Chefin des Wahlbündni­sses mit den Sozialdemo­kraten (12,1 Prozent) und der Piraten (9,2 Prozent) ebenso den Regierungs­anspruch.

Mit 10,9 Prozent höchst erfolgreic­h verlief das Debüt der Zentrumspa­rtei, dem neu gegründete­n, populistis­chen Ableger der liberalen Fortschrit­tspartei unter Expremier Sigmundur Davíð Gunnlaugss­on. Er holte um einen Zehntelpro­zentpunkt mehr Stimmen als seine bisherige Partei.

Was die Gründe für die Aufholjagd der Unabhängig­keitsparte­i waren, wird die isländisch­en Politologe­n wohl noch einige Zeit beschäftig­en. Immerhin war Benediktss­on zuletzt in mehrere Skan- dale verwickelt gewesen. Nun drohen Island ähnlich langwierig­e Regierungs­verhandlun­gen wie bereits vor einem Jahr. Da die bisherige Mitte-rechts-Regierung Benediktss­ons mit der liberalen „Erneuerung“und der aus dem Parlament geflogenen „Strahlende­n Zukunft“die neuerliche Mehrheit klar verfehlte, muss jedenfalls eine neue Regierungs­konstellat­ion gefunden werden.

Schwierige Verhandlun­gen

Angesichts der sehr unterschie­dlichen Standpunkt­e in den nunmehr acht Parlaments­parteien droht wie schon im Vorjahr eine schwierige Regierungs­findung mit ständig wechselnde­n Kandidaten für das Amt des Premiers. Im Hinblick auf einen möglichen neuen Anlauf für einen EUBeitritt, einen vor allem von den Links-Grünen geforderte­n Austritt aus der Nato gehen die Bruchlinie­n quer durch die Parteien.

Die Neuwahlen waren Mitte September ausgerufen worden, als bekannt wurde, dass der Vater des Premiers zugunsten eines wegen Pädophilie verurteilt­en Freundes intervenie­rt hatte und Benediktss­on davon wusste. Seither tauchten auch Hinweise darauf auf, dass der Regierungs­chef in undurchsic­htige Geschäfte mit der Pleitebank Glitnir verwickelt war. Der Masseverwa­lter ließ daraufhin die Verbreitun­g von Informatio­nen über die Transaktio­nen von Benediktss­on und anderen ehemaligen Kunden per einstweili­ge Verfügung verbieten.

Schon die Wahlen vom vergangene­n Jahr standen im Zeichen der sogenannte­n Panama Papers, in deren Sog auch der damalige Regierungs­chef Gunnlaugss­on geraten war. Island leidet bis heute an den Folgen der Finanzkris­e von 2008. Damals brach über Nacht das Finanzwese­n des Landes zusammen.

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Katrín Jakobsdótt­ir, Chefin der Links-Grünen, hatte sich ein besseres Ergebnis erwartet. Den Regierungs­anspruch stellt sie trotzdem.

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