Hitzige Führungsdebatte bei irakischen Kurden
Trotz der Ankündigung einer baldigen Neuwahl kommt der Rücktritt von Kurdenpräsident Massud Barzani überraschend. Iraks Kurden, durch Gebietsverluste an die Armee geschwächt, streiten über die Verteilung seiner Aufgaben.
Das kurdische Regionalparlament in Erbil traf sich am Sonntag hinter verschlossenen Türen. Es galt eilig zu diskutieren, wie die Vollmachten von Präsident Massud Barzani, der kurz davor überraschend seinen Rücktritt mit Anfang November angekündigt hatte, aufgeteilt werden können. Am Abend stürmten protestierende BarzaniAnhänger das Parlament, Abgeordnete verbarrikadierten sich in ihren Büros.
Eigentlich hätten Anfang November Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in den drei autonomen kurdischen Provinzen stattfinden sollen. Als Folge der Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Armee und kurdischen Kämpfern in den letzten Wochen hatte das Parlament in Erbil die Wahlen um acht Monate verschoben. Ein genaues Datum steht noch nicht fest. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Kammer zudem die Aktivitäten von Barzani, von seinem Vizepräsidenten Kosrat Rasul und dem Chef der Kanzlei des Präsidenten Fuad Hussein eingefroren.
Bei der Parlamentssitzung ging es am Sonntag nach Berichten lokaler Medien hitzig zu. Die Beratungen über ein Gesetz zur Aufteilung der Befugnisse mussten teilweise unterbrochen werden. Auch die oppositionelle GorranBewegung und die islamische Gruppierung Komal, die das Parlament lange Zeit boykottiert hatten, nahmen teil. Gorran verlangte, dass alle Befugnisse des Präsidenten uneingeschränkt vom Parlamentspräsidenten übernommen werden. Die Bewegung hatte im Vorfeld angekündigt, allenfalls mit einem Generalstreik durchzusetzen, dass auch die von Nechirvan Barzani geführte Regionalregierung abgesetzt wird. Sie solle durch eine Regierung der nationalen Rettung abgelöst werden.
Isolation nach Taktikfehler
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September, das trotz lokaler und internationaler Bedenken durchgeführt worden war, hatte die Zentralregierung in Bagdad eine ganze Reihe von militärischen und nichtmilitärischen Maßnahmen gegen die kurdische Autonomieregion verfügt und mit einer massiven Operation Territorium und Erdölfelder in der Region von Kirkuk zurückerobert. Diese war seit 2014 von den kurdischen Peschmerga kontrolliert worden. Mit dem Wegfall der Ölfelder, deren Einnahmen für den Unterhalt eines unabhängigen Staates unverzichtbar gewesen wären, sind die Spannungen zwischen den kurdischen Parteien und die gegenseitigen Schuldzuweisungen eskaliert, und die KDP von Präsident Barzani wurde im politischen Spektrum isoliert. Barzani will aber nach den Worten seines Beraters Hemin Hawrami Vorsitzender des obersten politischen Rates bleiben, der die Nachreferendumszeit gestalten soll.
Die militärischen Auseinandersetzungen kurdischer Kämpfer mit der irakischen Armee und den mit ihr verbündeten schiitischen Milizen ruhen derzeit, sind aber noch nicht vorbei. Am Wochenende gab es in Mossul mehrere Gesprächsrunden zwischen den Führungsoffizieren, um die Bedingungen für einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln. Dabei geht es um die sogenannte blaue Linie, die Grenze der kurdi- schen Gebiete im Jahr 2003 vor dem Fall der Saddam-Diktatur. In den Jahren danach hatten die Kurden ihre Kontrolle über Teile der „umstrittenen Gebiete“ausgedehnt, noch bevor sie sich 2014 nach der Flucht der irakischen Armee vor dem IS auch Kirkuks bemächtigt hatten. Strittig sind besonders die Grenzübergänge, allen voran Fishkabour im Dreiländereck zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei. Die Regierung in Bagdad beharrt darauf, dass künftig alle Grenzpunkte ihrer Autorität unterstellt werden müssen.
Die Gespräche in Mossul, bei denen auch US-Vermittler anwesend sind, hatten bis Sonntagabend zu keinem endgültigen Arrangement geführt. Es sind technische und militärische Diskussionen und keine politischen. Iraks Premier Haidar al-Abadi beharrt weiter darauf, dass die Kurden zuerst ihr Referendum für ungültig erklären müssen – bis jetzt haben sie ein Einfrieren angeboten –, bevor politische Verhandlungen aufgenommen werden.