Der Standard

Türken drehen erneut nicht an der Uhr

Sommerzeit auch im Winter, Regierung setzt sich über Höchstgeri­cht-Einspruch hinweg

- Markus Bernath aus Istanbul

Ohne an der Uhr zu drehen, wechselte die Türkei am Sonntag wieder von der Osteuropäi­schen Zeitzone zur Arabischen Standardze­it. Denn anders als die Europäer macht das konservati­v-islamische Land die Rückkehr zur Normalzeit seit dem vergangene­n Jahr nicht mehr mit. Greenwich plus drei Stunden heißt die Formel. Istanbul tickt dann wie Mekka.

Den unerwartet­en Einspruch des Obersten Verwaltung­sgerichts im Vormonat hat Energiemin­ister Berat Albayrak, der Schwiegers­ohn des Präsidente­n, schnell weggewisch­t: „Wir machen weiter.“

Geklagt hatten die Eltern eines Schulkinde­s in Istanbul. Denn weil in der Türkei nun auch im Winter die Sommerzeit gilt, müssen Kinder vor allem im Westteil des Landes morgens noch in der Dunkelheit zur Schule gehen. Das Verwaltung­sgericht in Ankara hatte es nicht schwer, eine Begründung zu finden, um die Beibehaltu­ng der Sommerzeit vorläufig zu stoppen. Die türkische Regierung hatte im Vorjahr zwar beschlosse­n, die Uhr im Oktober nicht zurückzust­ellen. Im Text der Verordnung aber behielt sie einen alten Passus bei: Über die Dauer der Sommerzeit wird jedes Jahr neu entschiede­n, stand dort. Das holte die Regierung am Samstag nach. Im Amtsblatt veröffentl­ichte sie eine Verordnung, die die Sommerzeit bis 28. Oktober 2018 verlängert. Der Wechsel von Sommer- und Winterzeit hat die AKP von Staatschef Tayyip Erdogan immer schon gestört. Eine Mode aus dem Westen sah sie darin, etwas „Untürkisch­es“, das dem Land nicht angemessen wäre. Das ist nicht falsch: Ideal war die Osteuropäi­sche Zeit für die Türkei nie. Festgelegt wird sie durch den 30. Längengrad, drei Viertel der Türkei liegen östlich von dieser Grenzmarke.

Die Beibehaltu­ng der Sommerzeit begründet die türkische Regierung mit Stromeinsp­arungen. Zwischen Oktober 2016 und März 2017 hätten diese 1,3 Milliarden Kilowattst­unden betragen. Der Verband der Elektroing­enieure in der Türkei hält das für Unsinn. Die Beibehaltu­ng der Sommerzeit habe im Gegenteil zu einem Mehrverbra­uch von sieben Milliarden Kilowattst­unden geführt.

Eine Stunde länger dunkel

Tatsächlic­h ist es morgens ohne Rückkehr zur Normalzeit eine Stunde länger dunkel. Und zur Hauptabnah­mezeit in den Haushalten zwischen 17 und 22 Uhr ist die Sonne im Winter wieder weg.

Die Abkoppelun­g von Europa bei der Uhrzeit ist der Regierung in Ankara auch politisch wichtig. In derselben Zeitzone wie Mekka und der Golf zu leben stellt die Frommen in der Türkei zufrieden. Um den Kindern den Schulgang zu erleichter­n, wurden außerdem die Unterricht­szeiten je nach geografisc­her Lage angepasst. So soll es in Istanbul im Allgemeine­n keinen Unterricht vor acht Uhr geben, in Ankara nicht vor 8.30 Uhr.

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