Türken drehen erneut nicht an der Uhr
Sommerzeit auch im Winter, Regierung setzt sich über Höchstgericht-Einspruch hinweg
Ohne an der Uhr zu drehen, wechselte die Türkei am Sonntag wieder von der Osteuropäischen Zeitzone zur Arabischen Standardzeit. Denn anders als die Europäer macht das konservativ-islamische Land die Rückkehr zur Normalzeit seit dem vergangenen Jahr nicht mehr mit. Greenwich plus drei Stunden heißt die Formel. Istanbul tickt dann wie Mekka.
Den unerwarteten Einspruch des Obersten Verwaltungsgerichts im Vormonat hat Energieminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn des Präsidenten, schnell weggewischt: „Wir machen weiter.“
Geklagt hatten die Eltern eines Schulkindes in Istanbul. Denn weil in der Türkei nun auch im Winter die Sommerzeit gilt, müssen Kinder vor allem im Westteil des Landes morgens noch in der Dunkelheit zur Schule gehen. Das Verwaltungsgericht in Ankara hatte es nicht schwer, eine Begründung zu finden, um die Beibehaltung der Sommerzeit vorläufig zu stoppen. Die türkische Regierung hatte im Vorjahr zwar beschlossen, die Uhr im Oktober nicht zurückzustellen. Im Text der Verordnung aber behielt sie einen alten Passus bei: Über die Dauer der Sommerzeit wird jedes Jahr neu entschieden, stand dort. Das holte die Regierung am Samstag nach. Im Amtsblatt veröffentlichte sie eine Verordnung, die die Sommerzeit bis 28. Oktober 2018 verlängert. Der Wechsel von Sommer- und Winterzeit hat die AKP von Staatschef Tayyip Erdogan immer schon gestört. Eine Mode aus dem Westen sah sie darin, etwas „Untürkisches“, das dem Land nicht angemessen wäre. Das ist nicht falsch: Ideal war die Osteuropäische Zeit für die Türkei nie. Festgelegt wird sie durch den 30. Längengrad, drei Viertel der Türkei liegen östlich von dieser Grenzmarke.
Die Beibehaltung der Sommerzeit begründet die türkische Regierung mit Stromeinsparungen. Zwischen Oktober 2016 und März 2017 hätten diese 1,3 Milliarden Kilowattstunden betragen. Der Verband der Elektroingenieure in der Türkei hält das für Unsinn. Die Beibehaltung der Sommerzeit habe im Gegenteil zu einem Mehrverbrauch von sieben Milliarden Kilowattstunden geführt.
Eine Stunde länger dunkel
Tatsächlich ist es morgens ohne Rückkehr zur Normalzeit eine Stunde länger dunkel. Und zur Hauptabnahmezeit in den Haushalten zwischen 17 und 22 Uhr ist die Sonne im Winter wieder weg.
Die Abkoppelung von Europa bei der Uhrzeit ist der Regierung in Ankara auch politisch wichtig. In derselben Zeitzone wie Mekka und der Golf zu leben stellt die Frommen in der Türkei zufrieden. Um den Kindern den Schulgang zu erleichtern, wurden außerdem die Unterrichtszeiten je nach geografischer Lage angepasst. So soll es in Istanbul im Allgemeinen keinen Unterricht vor acht Uhr geben, in Ankara nicht vor 8.30 Uhr.