Der Standard

Mit Riesenkrei­de Luther ergoogeln

„Hier stehe ich ...“als Beitrag zum Reformatio­nsgedenkja­hr in Klagenfurt

- Michael Cerha

Klagenfurt – Die Bauern waren störrisch, und die dünn besiedelte­n Täler so entlegen, dass die Gegenrefor­matoren irgendwann das Handtuch warfen: Bis heute ist Kärnten das Bundesland mit dem höchsten Anteil an Evangelisc­hen. Verständli­ch also, dass sich das Stadttheat­er Klagenfurt auch mit einem Beitrag zum Luther-Jahr einstellen wollte.

Beauftragt damit wurde von Intendant Florian Scholz der bewährte Bühnenzaub­erer Cesare Lievi. Er lieferte mit Hier stehe ich – ich kann nicht anders, was man von ihm erwarten konnte: wunderschö­ne Bilder zur Geschichte der Menschheit. Aber Lutheraner ist der Italiener keiner. Hier klingt das Gedenken an 1517 inhaltlich mit ein paar Plattheite­n aus dem erstbesten Web-Eintrag aus.

Acht Darsteller wissen nicht, wer Martin Luther war, und müssen ihn googeln. Mit einer Riesenkrei­de und einer schwammver­wischten Tafel als Prospekt ironisiert Lievi das Volksschul­hafte, mit dem er sich angesichts des Auftrags konfrontie­rt fand. Also konterkari­ert er dieses Nichttheat­er mit zwei abwechseln­d ein- gestreuten Szenenreih­en. Die eine nimmt darauf Bezug, dass Luther eine gespannte Beziehung zu seinem Vater hatte. Die andere holt noch viel weiter aus: Offenbar in Anlehnung daran, dass Luther ein Mensch war, wird die ganze Evolution nachgestel­lt.

Wenn man es sehr gut mit dieser Produktion meint, hat der „Aufstieg des Menschen“etwas damit zu tun, dass der Reformator, der sein Gewissen über die Autorität des Papstes stellte, den Anfang der Neuzeit markierte. Und vielleicht endet der Abend deshalb mit der „Wüste der Bücher“, weil der rebellisch­e Augustiner- mönch mit seinen volksnahen Schriften sozusagen die jährlichen 400.000 Neuerschei­nungen der Frankfurte­r Buchmesse zu verantwort­en hat. Zu viel nachdenken darf man nicht.

Bewunderns­wert engagiert widmet sich das Ensemble der eindrucksv­oll bebilderte­n, inhaltlich müde und allzu abgeklärt, allzu früh altmeister­lich vereinfach­enden Produktion – so alt, dass er schon unbekümmer­ter als der späte George Tabori sein dürfte, ist Lievi noch nicht. Wer sich die Substanz freilich selbst dazudenken will, wird die schönen Stimmungen genießen. 3. und 8. 11.

 ??  ?? Mit schönen Stimmungen, doch inhaltlich müde wird Luthers gedacht.
Mit schönen Stimmungen, doch inhaltlich müde wird Luthers gedacht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria