Der Standard

Es geht um Geld und Leben, Herr Kurz!

Bis zum 31. Oktober müssen die EU-Länder Zahlen nennen, wie viele Flüchtling­e sie im Rahmen des Resettleme­nts aufnehmen wollen. Die Frist markiert eine wichtige Chance für die österreich­ische Asylpoliti­k.

- Annemarie Schlack

Es sei Zeit, meinte er: Proeuropäi­sch wolle er sein, Migration werde er künftig vernünftig steuern. Mit diesen Verspreche­n gewann Sebastian Kurz den Wahlkampf. Nun, wenige Tage nach der Wahl, könnte Kurz – Chefverhan­dler bei den Koalitions­gesprächen – tatsächlic­h Nägel mit Köpfen machen: Bis 31. Oktober müssen die EU-Staaten bekanntgeb­en, wie viele Geflüchtet­e sie im Rahmen von Resettleme­nt-Programmen in den nächsten beiden Jahren aufnehmen möchten.

Die Frist markiert nicht nur eine wichtige Chance für die österreich­ische Asylpoliti­k. Bis zum 31. Oktober wird sich auch zeigen, wie ernst es Kurz mit seinen Ansagen meint.

„Resettleme­nt“war bis vor kurzem nur Migrations­experten ein Begriff. Kurz hob es in sein Wahlprogra­mm, gleich drei Mal wird dort die Aufnahme von Resettleme­nt-Flüchtling­en als Positivbei- spiel erwähnt: „Ihnen müssen wir Hilfe vor Ort bzw. Hilfe durch spezifisch­e Resettleme­nt-Programme zukommen lassen.“

Tatsächlic­h sind Resettleme­ntProgramm­e ein wesentlich­es Standbein für eine nachhaltig­e europäisch­e Asylpoliti­k. Für besonders schutzbedü­rftige Menschen auf der Flucht (Kranke, Schwangere, alleinsteh­ende Frauen mit Kindern, ältere Personen ...) ist es oft die einzige Chance, in sicheren Ländern ein neues Zuhause zu finden.

Aufnahmelä­nder profitiere­n außerdem enorm von diesem zielgerich­teten und planbaren Programm. Jeder Geflüchtet­e wird vom UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat geprüft; Integratio­n im neuen Zufluchtsl­and kann vorbereite­t und koordinier­t werden.

So, wie Resettleme­nt bisher in Österreich funktionie­rt, ist es eine Erfolgsges­chichte. Das sagen nicht nur beteiligte Organisati­o- nen, sondern auch die involviert­en Ministerie­n. Und solche Programme sind notwendige­r denn je. Erst kürzlich richtete der libanesisc­he Präsident Michel Aoun einen Hilfeschre­i an die internatio­nale Gemeinscha­ft: Der Libanon könne die große Anzahl an Geflüchtet­en nicht mehr bewältigen. Resettleme­nt wäre eine Möglichkei­t, in Erstzufluc­htsländern den Druck zu senken.

Das ist nicht nur solidarisc­h, sondern auch nachhaltig und ein klares Bekenntnis zu profession­ellem Umgang mit Migration und Fluchtbewe­gungen – so, wie es Sebastian Kurz im Wahlkampf angekündig­t hat. Denn die bloße Schließung von Fluchtrout­en bekämpft lediglich Symptome, das Leid von Menschen auf der Flucht wird aber dadurch nicht beendet.

Für Kurz wäre es strategisc­h eine Win-win-Situation: Er könnte unter Beweis stellen, wie weit es um sein Bekenntnis, in den kommenden Jahren eine „proeuropäi­sche Regierung“zu führen, bestellt ist. Und Österreich könnte unter seiner EU-Ratspräsid­entschaft 2018 die Etablierun­g von nachhaltig­en europäisch­en Lösungsweg­en im Bereich der Asylpoliti­k vorantreib­en.

Migrations­management

Auf der anderen Seite wäre eine Einstellun­g des erfolgreic­hen Resettleme­nt-Programms kurzsichti­g und fatal – „proeuropäi­sch“sähe anders aus. Nebenbei wäre es nicht nur unlogisch, sondern auch finanziell fragwürdig, die Frist bis zum 31. Oktober einfach verstreich­en zu lassen: Österreich entginge eine Menge Geld für nachhaltig­es Migrations­management – pro aufgenomme­nen Flüchtling stellt die EU 10.000 Euro zur Verfügung.

Ergreifen Sie also die Chance, Herr Kurz? Es ist Zeit, höchste Zeit.

ANNEMARIE SCHLACK ist Juristin und Geschäftsf­ührerin von Amnesty Internatio­nal Österreich.

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Die Boote der Flüchtling­e aus dem Süden werden weniger, die Not allerdings bleibt groß. Resettleme­nt ist ein neues Zauberwort der Politik.
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Foto: APA A. Schlack: Es geht um nachhaltig­e Asylpoliti­k.

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