Der Standard

Unbequeme Wahrheiten und bequeme Unwahrheit­en

Eine Antwort auf Andreas Novy

- Fred Luks

In seiner Reaktion auf meine Kritik der grün-nachhaltig­en Überheblic­hkeit (Grüne auf der Suche nach Nachhaltig­keit, der STANDARD vom 20. Oktober 2017) verkündet Andreas Novy eine „unbequeme Wahrheit“: die strukturel­le Nichtnachh­altigkeit der westlichen Lebensweis­e. Er präsentier­t diese Wahrheit als Gegenposit­ion zu meiner Kritik. Hier liegt ein Missverstä­ndnis vor, denn: Die Diagnose einer strukturel­len Nichtnachh­altigkeit wird von mir an keiner Stelle infrage gestellt, im Gegenteil – sie ist die Grundlage meines Arguments.

Eingeschrä­nkte Relevanz

Das Problem, um das es mir geht, ist ebenfalls ein strukturel­les. Wir reden hier nicht nur über die „Charakters­chwächen von Mitglieder­n einer aus dem Nationalra­t geflogenen Partei“(Andreas Novy), sondern auch über strukturel­le Schwächen, die zum Desaster dieser Partei beigetrage­n haben. Zu diesen Schwächen zählt womöglich, dass die Lebensreal­ität von vielen Menschen für die Grünen nur eingeschrä­nkte Relevanz besitzt.

Es gibt nicht nur unbequeme Wahrheiten, sondern auch bequeme Unwahrheit­en. Zum Beispiel, dass man durch die Vermeidung von Plastiksac­kerln die Welt retten kann. Dass Partizipat­ion stets besser ist als Repräsenta­tion. Oder dass die persönlich­e Befindlich­keit von Bürgerinne­n und Bürgern, Konsumente­n oder Parteifunk­tionärinne­n den Zustand der Welt wesentlich zu beeinfluss­en vermag.

Na toll – na und?

„Grüne“, so schreibt Andreas Novy ganz unironisch, „fliegen mehr als andere, aber eben mit einem schlechter­en Gewissen.“Na toll – na und? Der Gefühlszus­tand beim Umweltschä­digen relativier­t leider nicht seine öko- logischen Wirkungen. Das weiß natürlich auch Andreas Novy.

Er schreibt auch, und wo wäre diese Formulieru­ng naheliegen­der als in der Stadt Sigmund Freuds: „Grünes Bewusstsei­n ist gespaltene­s Bewusstsei­n.“Ja, und hier liegt eben ein strukturel­les Problem vor, kein individuel­les. Die in meinem Beitrag erwähnten Menschen, denen die Verteidigu­ng des Bestehende­n wichtiger ist als die Transforma­tion in Richtung Nachhaltig­keit, sind ja ebenso gespalten. Die allermeist­en Menschen wissen, dass sie nicht nachhaltig leben. Dass sie trotzdem anders handeln, ist integraler Bestandtei­l der von Andreas Novy diagnostiz­ierten strukturel­len Nichtnachh­altigkeit.

Anders gesagt: Die Leute sind nicht blöd – zumindest nicht so blöd, dass sie nicht von den Umweltwirk­ungen ihres Handels wüssten. Dieses Wissen wird aber gesellscha­ftlich nicht handlungsr­elevant – und das betrifft eben nicht nur die gespaltene­n Persönlich­keiten mit grünem Parteibuch, sondern auch die vielzitier­te Billa-Verkäuferi­n, den Lkw-Fahrer und die ÖVP-Funktionär­in.

Selbstillu­sionierung

Man könnte mit Ingolfur Blühdorn von einem „stillschwe­igenden Pakt“sprechen, von einer Art gesellscha­ftlicher Selbstillu­sionierung. Andreas Novy nennt dies „Lebenslüge“– und die gilt es, da bin ich vollinhalt­lich bei ihm, offensiv zu adressiere­n.

Dazu wird es freilich nicht reichen, die Grünen wieder in den Nationalra­t zu wählen. Strukturel­le Nichtnachh­altigkeit lässt sich nur transformi­eren, wenn die Gesellscha­ft offene Suchprozes­se und Experiment­e zulässt und mehr auf Pluralismu­s setzt – und weniger auf die Verkündung von Wahrheiten.

FRED LUKS lebt und arbeitet in Wien. Anfang 2018 erscheint bei Metropolis sein Buch „Ausnahmezu­stand“.

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