Der Standard

Nordeuropa­s Karibikins­el

- Andreas Stangl

Wer hat in Island eigentlich das Sagen? Die Frage drängt sich nach dem Ergebnis der vorgezogen­en Parlaments­wahlen in Island auf. Da kollabiert das gesamte Bankenwese­n eines Staates innerhalb weniger Tage, und neun Jahre später stellt man fest, dass trotzdem stets dieselben Personen obenauf bleiben.

Massive Straßenpro­teste führten zwar zum Sturz von mindestens zwei Regierunge­n, aber letztlich hielten sich Vertreter ähnlicher Gruppen an der Macht. Das gilt sowohl für Politiker wie den 2016 aus dem Amt gejagten Ex-Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugss­on und den aktuellen Premier Bjarni Benediktss­on. Es gilt aber auch für verschiede­ne Finanzjong­leure und Wunderwuzz­is, die nach dem Bankencras­h rasch ins Wirtschaft­sleben zurückkehr­ten. Ihnen gemeinsam sind unwiderleg­te Vorwürfe, ihre Vermögen über karibische Briefkaste­nfirmen vor dem Ausbruch der Finanzkris­e ins Trockene gebracht zu haben.

Vor zwei Wochen erwirkte der Masseverwa­lter der ehemals größten Privatbank des Landes, Glitnir, ein bis nach den Wahlen aufrechtes Veröffentl­ichungsver­bot von „geleakten“Dokumenten. Sie hätten womöglich ein neues Licht auf diese Machenscha­ften geworfen. Damit wurde den krisengepl­agten und verschulde­ten Isländern die Möglichkei­t genommen, gegebenenf­alls die Wahrheit über jene zu erfahren, die sie nun mit ihrer Stimme wieder in den Sattel gehievt haben. Demokratie­politisch ist das bedenklich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria