Der Standard

Rückwärts in die „Eigentlich­keit“

Ethnisch homogene Nationalst­aaten sind so anachronis­tisch wie unzivilisi­ert

- Adelheid Wölfl

In der serbischen Provinz Vojvodina wehen seit einigen Wochen katalanisc­he Fahnen. Auf der Balkanhalb­insel erhoffen sich Separatist­en Rückenwind von den iberischen Kollegen. Doch jene, die sonst am lautesten schreien, wenn es um Sezession geht, die nationalis­tischen Eliten im bosnischen Landesteil Republika Srpska, sind nun auffällig still. Der Grund: Sie wollen Serbien nicht vergraulen. Denn Belgrad stellt sich demonstrat­iv hinter Madrid und zieht einen Vergleich zwischen dem Kosovo und Katalonien.

Der Fall Kosovo liegt jedoch völlig anders – denn die Unabhängig­keit erfolgte, nachdem der Staat Jugoslawie­n jahrelang gegen die eigene Bevölkerun­g im Kosovo vorgegange­n war. Die Repression der Albaner erreichte ein Ausmaß, das die Sezession schließlic­h auch völkerrech­tlich legitimier­te. Das Regime von Slobodan Milošević verwirkte durch die systematis­che Gewalt gegenüber den eigenen Bürgern das Recht, diese zu regieren.

Im Fall Katalonien kann von Repression keine Rede sein. Im Kosovo weist man demnach auch jegliche Ähnlichkei­t zurück. Aber es gibt andere Parallelen mit dem Balkan: Analysiert man etwa den Separatism­us in der Republika Srpska, so basiert dieser im Grunde auf der gleichen Botschaft: In der Homogenitä­t liegt die Freiheit. Das angestrebt­e Zusammenle­ben in einer ethnischen Gemeinscha­ft geht einher mit der selbstbera­uschenden Vorstellun­g eines freieren Daseins, die in der Romantik verortet werden kann – also im Bereich des Imaginären. ie Sezessioni­sten auf dem Balkan sprechen davon, dass man der eigenen Geschichte beraubt worden sei und dass es zum Erlangen der „eigentlich­en“Freiheit die Abspaltung von den anderen brauche. Der Historiker Holm Sundhausen schrieb in diesem Zusammenha­ng von einem „Imperativ der Eigentlich­keit“, der im Zeitalter des Nationalis­mus aufkam und noch immer wirkt.

Erst im 19. Jahrhunder­t wurden die Religionsg­ruppen auf dem Balkan nationalis­iert, das heute dominante ethnische Denken ist historisch gesehen also jung. Man begann damals davon zu träumen, Nationsang­ehörige oder Menschen, die man dafür hielt, „zu befreien“und „einzugemei­nden“. Die Kriege und die Gewalt, die dieser Ideologie folgten, sind bekannt.

DIn aller Verantwort­ungslosigk­eit wird den Leuten bis heute weisgemach­t, dass die Loyalität mit ihrer „Gruppe“über allen anderen Loyalitäte­n stehen sollte. Völkische Nationalis­ten – jene in der Republika Srpska wie in der FPÖ – berufen sich auf das Selbstbest­immungsrec­ht der Völker und lassen außer Acht, dass sich daraus keineswegs ein Sezessions­recht ableiten lässt.

Mit Freiheit hat kollektivi­stischer Nationalis­mus ohnehin nichts zu tun – viel eher mit Unterwerfu­ng. Ein auf dem Prinzip einer ethnischer Homogenitä­t beruhender Staat ist diskrimi- nierend, vormodern und unzivilisi­ert. Ralf Dahrendorf meinte pointiert dazu: „Es gibt kein Recht der Armenier, unter Armeniern zu leben.“

Das Selbstbest­immungsrec­ht habe in der Geschichte als Alibi für Homogenitä­t gedient, und diese bedeute immer Unterdrück­ung von Minderheit­en. In modernen Gesellscha­ften gehe es hingegen darum, Menschen unterschie­dlichen Geschlecht­s und Alters, unterschie­dlicher Herkunft und Kultur gleiche Rechte zu garantiere­n. Offensicht­lich gibt es allerdings zurzeit viele Europäer, die lieber wieder ins 19. Jahrhunder­t zurückkehr­en wollen.

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