Der Standard

Ende einer Ära: Kurdischer Präsident Barzani geht

Nach dem Sieg in Mossul waren die Kurden stark wie nie, aber ihr Präsident hat alles verspielt

- Gudrun Harrer

In den sozialen Medien nahmen seine Anhänger am Sonntag Abschied wie von einem Verstorben­en: „Sarok Barzani, Präsident Barzani, die Geschichte wird immer daran erinnern, was du für uns getan hast.“Dabei hatte Massud Barzani, Präsident der kurdischen Regionalre­gierung seit 2005, auch schon vor seinem unglücklic­hen Unabhängig­keitsrefer­endum am 25. September angekündig­t, dass er sich Wahlen nicht mehr stellen würde. Aber da waren wohl viele davon ausgegange­n, dass er sich vielleicht doch noch überreden lassen würde: Wer, wenn nicht er, sollte Irakisch-Kurdistan in die Unabhängig­keit führen, die Barzani innerhalb von zwei Jahren nach der Abstimmung versproche­n hatte?

Angesichts der nationalen Katastroph­e – des Angriffs der irakischen Armee plus schiitisch­er Milizen, die sich die zwischen Arabern und Kurden „umstritten­en“Gebiete Schlag auf Schlag zurückholt­en – ist nun alles anders. Im Unterschie­d zum kurdischen Parlament in Erbil, das nach der Ab- sage der Wahlen seine Amtszeit verlängert­e, verkündete Barzani seinen Rücktritt am 1. November.

Auch wenn Massud Barzani, wie er verlauten ließ, der kurdischen Politik verbunden bleiben wird (man wird erst sehen, was das heißt), und auch wenn andere Mitglieder der Familie Barzani in Spitzenpos­itionen sitzen bleiben werden: Damit geht eine Ära zu Ende.

Historisch­e Rolle

Der 71-Jährige hat hoch gepokert und verloren. Was ihn zum riskanten Schritt verleitete, gegen den Rat auch aller seiner internatio­nalen Freunde das Referendum durchzuzie­hen, ist schwer zu ergründen. Vielleicht war sein Wunsch, die Unabhängig­keit Irakisch-Kurdistans als persönlich­es Vermächtni­s zu hinterlass­en, so stark, dass er seine politische Klugheit ausschalte­te.

Manche Beobachter sprechen aber auch von einem Mann, der, umgeben von Jasagern, zunehmend in eine autoritäre Abgehobenh­eit glitt. Vielleicht meinte er, mit diesem Befreiungs­schlag, der die zerstritte­nen Kurden wieder zum Träumen brachte, die politische Hegemonie wiederzuer­langen, die durch das Aufkommen einer starken Opposition gefährdet schien.

Das historisch­e Konkurrenz­verhältnis zu Jalal Talabani, der Anfang Oktober nach langer Krankheit starb und dem so diese erneute Demütigung Kurdistans erspart blieb, hatte er zwar für sich entschiede­n – Talabani war irakischer Staatspräs­ident geworden –, aber Barzani blieb in Kurdistan und baute dort seine Macht – und die seiner Familie – kontinuier­lich aus. Die Klagen über Korruption, Nepotismus und Stillstand des demokratis­chen Prozesses wurden jedoch immer lauter.

Das kurdische Parlament war gelähmt und trat erst kurz vor dem Referendum überhaupt wieder zusammen, boykottier­t von der opposition­ellen Gorran-Partei. Und Barzanis eigenes Mandat als Präsident war bereits 2013 erstmals abgelaufen und um zwei Jahre verlängert worden. Dass er angesichts des Kriegs gegen den „Islamische­n Staat“auch 2015 blieb, kann man gut argumentie­ren, es war aber nicht unumstritt­en. Nicht einmal mit dem Unabhängig­keitsversp­rechen gelang es ihm, die Kurden zu einen.

Auch wenn Massud Barzani abtritt: Die Familie sitzt weiter an den Hebeln der Macht, vor allem der Sicherheit­schef Masrour Barzani, Massuds Sohn. Es gab aber zuletzt auch Gerüchte über Spannungen zwischen Masrour und Premier Nechirvan Barzani, Massud Barzanis Neffen.

Chance nach Mossul

Nach dem Sieg über den IS in Mossul, bei dem die Peschmerga eine unverzicht­bare Rolle gespielt hatten, waren die Kurden im Irak so stark wie noch nie – und wären in einer einmaligen Position gewesen, ihr Verhältnis mit Bagdad neu zu verhandeln. Das ist nun verspielt: Heute haben sie nicht nur das seit 2014 kontrollie­rte Territoriu­m verloren, auch ihre in der irakischen Verfassung von 2005 festgeschr­iebenen Errungensc­haften stehen unter Beschuss. Es ist nun an den internatio­nalen Partnern, deren Rat Barzani in den Wind geschlagen hat, dafür zu sorgen, dass die kurdische Autonomie geschützt wird.

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Foto: Reuters / Ari Jalal In Amt und Würden: Massud Barzani vor wenigen Tagen.

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