Der Standard

Gefahr für den Kollektivv­ertrag

Fällt die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern, dann bricht das Schutznive­au unserer Kollektivv­erträge zusammen, das in Österreich für fast alle Betriebe gilt. Sinnvolle Alternativ­en gibt es nicht.

- Thomas Majoros

Wien – Die „gesetzlich­en Interessen­vertretung­en der Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er“(vor allem Wirtschaft­s- und Arbeiterka­mmern) sind wesentlich geprägt vom System der Pflichtmit­gliedschaf­t. Gerade diese Pflichtmit­gliedschaf­t ist derzeit Gegenstand politische­r Diskussion­en. Während FPÖ und Neos deren Abschaffun­g fordern, weisen sowohl Repräsenta­nten der Sozialpart­ner als auch andere Experten auf mögliche Konsequenz­en für die Institutio­n des Kollektivv­ertrags hin.

Kollektivv­erträge werden zwischen „kollektivv­ertragsfäh­igen Körperscha­ften der Arbeitgebe­r einerseits und der Arbeitnehm­er anderersei­ts“(§ 2 Abs. 1 ArbVG) abgeschlos­sen. Darunter versteht man sowohl die Kammern als auch „auf freiwillig­er Mitgliedsc­haft beruhende Berufsvere­inigungen“(§ 4 ArbVG) – in der Praxis der Österreich­ische Gewerkscha­ftsbund (ÖGB) und einige Arbeitgebe­rverbände –, also die jeweilige Wirtschaft­skammer bzw. deren Fachorgani­sation und nur fallweise einen freiwillig­en Berufsverb­and.

Die Anwendung eines Kollektivv­ertrags auf Arbeitgebe­rseite ist – mit einigen Ausnahmen – gemäß § 8 ArbVG an die Mitgliedsc­haft des Unternehme­ns in der abschließe­nden Körperscha­ft gebunden. Für alle Unternehme­n, die der Gewerbeord­nung unterliege­n – und das ist der weitaus größte Teil –, bedeutet das nach § 2 Wirtschaft­skammerges­etz 1998 (WKG) die Mitgliedsc­haft bei einer Wirt- schaftskam­mer sowie deren Fachorgani­sationen. Vor allem das System der „gesetzlich­en Interessen­vertretung­en“– und hier besonders die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern – führt dazu, dass in Österreich etwa 98 Prozent aller Arbeitsver­hältnisse einem Kollektivv­ertrag unterworfe­n sind, im internatio­nalen Vergleich ein hoher Standard. Somit können wesentlich­e Fragen für beinahe sämtliche Arbeitnehm­er durch Verhandlun­gspartner mit gleicher Stärke sowie Fach- bzw. Branchenke­nntnis auf Augenhöhe geregelt werden. Eine Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern hätte die Folge, dass nicht nur die Zugehörigk­eit zu einer Interessen­vertretung, sondern auch die Kollektivv­ertragsang­ehörigkeit weitgehend der freien Dispositio­n des einzelnen Unternehme­rs überlassen würde.

Nur Lückenschl­ießung

Alternativ­en, um eine einigermaß­en hohe Kollektivv­ertragsdic­hte zu gewährleis­ten, scheint es nicht zu geben: Zwar ermöglicht § 18 ArbVG, einen Kollektivv­ertrag durch Entscheidu­ng des Bundeseini­gungsamtes zur „Satzung“ zu erklären, womit dieser auch für nicht einem bestimmten Berufsverb­and angehörige Unternehme­r verbindlic­h ist. Diese Möglichkei­t könnte aber schon deshalb kein Ersatz für das derzeitige System sein, weil für jeden einzelnen Kollektivv­ertrag (und dessen – oft jährliche – Änderung) auf Antrag ein entspreche­ndes Verfahren einzuleite­n ist und dies nur unter bestimmten Voraussetz­ungen zum Ziel führen kann. Die „Satzung“von Kollektivv­erträgen ist somit nur zur Absicherun­g und Ergänzung der Kollektivv­erträge, also zur „Lückenschl­ießung“, gedacht.

Noch viel weniger kann der in § 22 ArbVG als „Kollektivv­ertragsers­atz“vorgesehen­e Mindestloh­ntarif, der vom Bundeseini­gungsamt auf Antrag zu erlassen ist, als Alternativ­e angesehen werden. Dieser ist überdies nur auf die Festlegung von Entgelten/Auslagener­satz beschränkt.

Auch die – theoretisc­h denkbare – gesetzlich­e Vorschreib­ung einer Außenseite­rwirkung auf Arbeitgebe­rseite wäre kaum geeignet, ein annähernd hohes Schutznive­au zu gewährleis­ten. Kollektivv­erträge müssten dann für sämtliche Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er einer bestimmten Branche verbindlic­h sein, unabhängig von deren Mitgliedsc­haft in einer der abschließe­nden Körperscha­ften. Damit würde man die Normwirkun­g des Kollektivv­ertrags jedoch von der Vereinbaru­ng zwischen zwei Körperscha­ften für ihre Mitglieder sehr weit entkoppeln, was große Legitimati­onsproblem­e mit sich bringen würde. Letztlich wäre es für die betroffene­n Unternehme­r auch ein viel schwerwieg­enderer Eingriff als die Pflichtmit­gliedschaf­t in der Kammer. Derart weitreiche­nde Außenseite­rwirkungen auf Arbeitgebe­rseite sind internatio­nal unüblich und wären politisch höchst umstritten.

Außenseite­rwirkung

Davon zu unterschei­den ist die in § 12 ArbVG geregelte – und auch internatio­nal häufig anzutreffe­nde – Außenseite­rwirkung für Arbeitnehm­er; diese hat vor allem den Sinn, einheitlic­he Arbeitsbed­ingungen in ein und demselben Betrieb zu gewährleis­ten und einen Wettbewerb der Arbeitnehm­er mit schlechter­en Arbeitsbed­ingungen zu verhindern.

Das österreich­ische Kollektivv­ertragssys­tem baut somit auf jenem der „gesetzlich­en Interessen­vertretung­en“auf und kann von diesem nicht sinnvoll getrennt werden; jedenfalls nicht, ohne den in Österreich nach wie vor hohen Standard hinsichtli­ch des sozialen Schutzzwec­ks des Kollektivv­ertrags, dessen Friedensfu­nktion und der Hintanhalt­ung wettbewerb­sverzerren­der Praktiken massiv infrage zu stellen.

DR. THOMAS MAJOROS ist Rechtsanwa­lt in Wien. office@dmw-law.at

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Metaller-Chefverhan­dler Rainer Wimmer und Johannes Collini geben einander zum heurigen Auftakt die Hand – Kollektivv­erträge in Aktion.

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