Der Standard

„Die USA sind in der Klimapolit­ik nicht homogen“

Politikwis­senschafte­r Ulrich Brand fordert, die Bremser in der Klimapolit­ik abzuhängen und bereits jetzt die Weichen für eine Post-Trump-Ära zu stellen.

- INTERVIEW: Julia Schilly

STANDARD: Die Auswirkung­en des Klimawande­ls werden immer deutlicher. Das öffentlich­e Interesse daran scheint aber abzunehmen. Teilen Sie diese Beobachtun­g? Brand: Das jüngste Eurobarome­ter zeigt, dass Umweltschu­tz keinen hohen Stellenwer­t hat. Terrorismu­s führt zum ersten Mal die Liste an Problemen an, mit denen die EU nach Auffassung der Befragten besonders stark konfrontie­rt ist. Auf weiteren Plätzen folgen Zuwanderun­g, Wirtschaft­slage und öffentlich­e Finanzen der Staaten. Der Kampf gegen den Klimawande­l und für die Umwelt landete abgeschlag­en auf den Plätzen acht und zehn.

STANDARD: Auf Wohlstand zu verzichten klingt auch erst einmal nicht sonderlich reizvoll. Ist eine Veränderun­g aus der Gesellscha­ft heraus realistisc­h? Brand: Es ist schwierig, aus der imperialen Lebensweis­e, wie Markus Wissen und ich das nennen, wieder herauszuko­mmen. Im Globalen Norden haben wir uns an das Auto, häufigen Fleischkon­sum und das billige T-Shirt gewöhnt. Das hat viel mit Wegducken, nicht so genau wissen wollen, zu tun. Stefan Lessing hat es in seinem Buch Neben uns die Sintflut so formuliert, dass wir es uns leisten können, „über die Verhältnis­se anderer zu leben“.

STANDARD: Sie schreiben, dass die imperiale Lebensweis­e nur so lange funktionie­rt, wie sie über ein „Außen“verfügt, wohin die Kosten ausgelager­t werden. Welche Auswirkung­en hat das, wenn dieses „Außen“mit dem Aufstieg der Schwellenl­änder schrumpft? Brand: Das kann man gut am verstärkte­n Land-Grabbing sehen, auch chinesisch­e Investoren wollen Land in Afrika, um Lebensmitt­el zu produziere­n oder Ressourcen auszubeute­n. Paradox ist: Die imperiale Lebensweis­e, die immer auch eine Produktion­sweise ist, hat auch für Menschen in Schwellenl­ändern große Attraktivi­tät. Das steht ihnen auch zu. Doch damit siegt sie sich langsam zu Tode, kann immer weniger ihre negativen Kosten nach außen verlagern.

STANDARD: Die Perspektiv­e der politische­n und gesellscha­ftlichen Stabilität scheint auch bei der gerade laufenden 23. Klimakonfe­renz in Bonn keine Rolle zu spielen. Wird dieses Thema von Entscheidu­ngsträgern noch ausgeblend­et? Brand: In der globalen und nationalen Politik gibt es zu wenig Zusammende­nken, es findet eine fragmentie­rte Politik statt. Durchaus ambitionie­rte Strategien von Umweltmini­sterien oder auf EUEbene sind schwach, wenn sie an den Finanz- und Wirtschaft­sministeri­en abprallen. Dort stehen die Argumente des Wettbewerb­s oder des Wachstums dagegen.

STANDARD: Die bekannten Reserven an Öl und Kohle sollen einen Wert von rund 3000 Milliarden Euro haben. 80 Prozent von diesen Reserven müssten im Boden bleiben, um die Erderwärmu­ng auf zwei Grad im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter zu beschränke­n. Gibt es eine realistisc­he Chance für eine Zeit des Post-Extraktivi­smus? Brand: Ich komme gerade von einer Konferenz aus Venezuela zurück. Dort haben Länder wie China großes Interesse daran, langfristi­ge Verträge für Öllizenzen abzuschlie­ßen. Länder wie Bolivien und Ecuador haben aber zum Beispiel schon in ihrer Verfassung verankert, dass sie aus der Erdölgewin­nung aussteigen wollen. Es geht nun darum, die Wirtschaft zu diversifiz­ieren und zunehmend unabhängig von der einseitige­n Gewinnung von fossilen Brennstoff­en zu machen.

STANDARD: Wie ist es möglich, trotzdem Wohlstand für die Menschen in diesen Ländern zu sichern? Brand: Jede Alternativ­e zur Erdölund Erdgasgewi­nnung muss ökonomisch sein. Aber es braucht einen anderen Wohlstand, der gutes Leben ermöglicht, ohne immer mehr haben zu müssen. Es geht nicht um eine ökologisch­e Austerität, also eine harte Sparpoliti­k für den Klimaschut­z. Denn das heißt in der Folge: Armut für die Bevölkerun­g. Es gibt hier Beispiele: Bolivien exportiert Gas, und die Nachfrage nach Quinoa ist gestiegen – auch mit negativen Folgen für die Bevölkerun­g durch Preissteig­erungen. Wichtig ist eine umsichtige Weltmarkti­ntegration. Deglobalis­ierung heißt, möglichst viel in regionalen Kreisläufe­n zu lassen und die Grundbedür­fnisse der eigenen Bevölkerun­g abzudecken. Ein negatives Beispiel wäre Palmöl in Indonesien, die Umweltzers­törung und Vertreibun­g von Kleinbauer­n ist enorm.

STANDARD: Kommen wir mit den Punkten im Klimavertr­ag noch an den Kern des Problems? Brand: Der Knackpunkt liegt bei den fossilen Energieträ­gern, die im Pariser Klimaabkom­men von 2015 nicht explizit genannt werden. Das ist meiner Meinung nach das größte Versäumnis, dass der Lobbyarbei­t nachgegebe­n wurde. Ich denke, wir müssen jetzt weg von einer internatio­nalen Konsenspol­itik. Die Bremser beim Kli- maschutz müssen wir erst einmal hinten lassen und in einem zweiten Schritt wieder dazu holen. Als dritten Schritt müssen wir Sanktionsm­echanismen entwickelt.

STANDARD: Diese Zahnlosigk­eit der internatio­nalen Klimapolit­ik gilt auch als Kritikpunk­t. Mit welchen Sanktionen können die USA rechnen, wenn sie als einziges Land aus dem Klimavertr­ag aussteigen? Brand: In der internatio­nalen Gemeinscha­ft ist es schwierig, Druck aufzubauen. Es ist jetzt wichtig, andere Kräfte in den USA zu stärken, damit wir in der Post-TrumpZeit schneller wieder anknüpfen können. Und diese anderen Kräfte gibt es. Die USA sind in der Klimapolit­ik nicht homogen.

ULRICH BRAND ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien. Sein mit Markus Wissen verfasstes Buch „Imperiale Lebensweis­e. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalism­us“(Oekom-Verlag) war diesen Sommer auf der Bestseller­liste des „Spiegel“.

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Foto: Reuters Alternativ­en zu Erdöl müssen ökonomisch sein, so Brand.
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