Der Standard

„Wir vertrauen Belgiens Justiz“

Der Anwalt Gonzalo Boye hat das juristisch­e Team der katalanisc­hen Regierungs­mitglieder in Belgien aufgebaut und will notfalls bis Straßburg gehen.

- Reiner Wandler

INTERVIEW: STANDARD: Heute findet in Brüssel die erste Tagsatzung im Auslieferu­ngsverfahr­en gegen die fünf Mitglieder der abgesetzte­n katalanisc­hen Regierung statt, die in Belgien sind – darunter deren Chef Carles Puigdemont. Lässt sich die Auslieferu­ng verhindern? Boye: Es kann sein, dass dem Antrag der Madrider Audiencia Nacional in erster Instanz stattgegeb­en wird. Der Richter in Brüssel steht unter enormem Druck. Aber ich sehe nicht, wie das, was Spanien im Auslieferu­ngsantrag aufführt, in der nächsten Instanz vor belgischem und europäisch­em Recht Bestand haben soll.

STANDARD: Sind Auslieferu­ngsanträge in der EU nicht Formsache? Boye: Schon, aber wenn die Straftaten im europäisch­en Auslieferu­ngsabkomme­n nicht vorgesehen sind, dann ist das nicht so einfach.

STANDARD: Was heißt das? Boye: Es geht um Rebellion und Aufstand, dazu muss Gewalt im Spiel sein. Die Auslegung des Gesetzes durch die Audiencia Nacional ist völlig überzogen. Dahinter stehen ganz klar politische Interessen. Die Richter in Madrid gehen davon aus, dass es Gewalt ist, wenn sich eine Menschenme­nge friedlich der Polizei in den Weg stellt. Diese Definition kommt einer Einschränk­ung des Demonstrat­ionsrechts gleich. Außerdem wird davon ausgegange­n, dass sechs Millionen Euro veruntreut wurden, um das Referendum vom 1. Oktober vorzuberei­ten. Der Oberste Gerichtsho­f, wo die Mitglieder des Präsidiums des Autonomiep­arlaments wegen der gleichen Delikte vor Gericht stehen, sieht dafür keine Beweise.

STANDARD: Aber die Angeklagte­n haben doch ganz klar gegen die Verfassung verstoßen. Boye: Sich auf eine Unabhängig­keitserklä­rung zu einigen, sie dem Parlament vorzulegen, damit darüber abgestimmt wird, die Durchführu­ng einer Volksabsti­mmung – das wäre nirgends in Europa Rebellion oder Aufstand. So etwas ist auch in anderen Regionen passiert, etwa in Norditalie­n, und dafür kam niemand ins Gefängnis.

STANDARD: Aber ein Unabhängig­keitsrefer­endum ist in Spaniens Verfassung nicht vorgesehen. Boye: Ein Referendum kann eventuell nicht verbindlic­h sein oder keinerlei politische­n oder rechtliche­n Wert haben. Aber auf keinen Fall ist ein Verbrechen. Die Regierung hat das Referendum abschätzig als Picknick bezeichnet. Wir haben acht Personen in Haft, sechs auf freiem Fuß, nachdem sie eine Kaution hinterlegt haben, fünf sollen ausgeliefe­rt werden. Und das alles wegen eines Picknicks? Vielleicht sollte die Regierung erst einmal klären, was das denn nun war. Dass jemand dafür verfolgt wird, dass er Gesetzte verabschie­det und eine Volksabsti­mmung durchführt, entfernt Spanien vom restlichen Europa.

STANDARD: Aber die Gesetze wurden vom Verfassung­sgericht für illegal erklärt. Dennoch hat Katalonien­s Regierung weitergema­cht. Boye: Das ist die größte Lüge der Regierung in Madrid. Das Referendum­sgesetz wurde nicht für illegal erklärt, sondern nur ausgesetzt. Und dann stellt sich die Frage nach der Zusammense­tzung des Verfassung­sgerichts. Von zwölf Richtern werden vier von der Regierung ernannt, zwei vom Senat, wo die Regierungs­partei die absolute Mehrheit hat, vier vom Kongress und zwei vom Richterrat, wo die Konservati­ven auch die Mehrheit haben. Wenn das kein politische­s Gremium ist! In Brüssel steht nicht der katalanisc­he Unabhängig­keitsproze­ss vor Gericht, sondern Spanien und die Qualität seiner Demokratie und Justiz.

STANDARD: Stimmt es, dass Madrid im Auslieferu­ngsantrag Delikte anführt, die jenen, die in Spanien geblieben sind, gar nicht vorgeworfe­n werden? Boye: Die Anklage in Madrid geht von Rebellion, Aufstand und Veruntreuu­ng aus. Im Auslieferu­ngsantrag kommen Befehlsver­weigerung und Amtsmissbr­auch hinzu. Das heißt, in Spanien sitzen acht Angeklagte wegen dreier Vergehen in Untersuchu­ngshaft. Die Auslieferu­ngsanträge aber belaufen sich auf fünf Anklagepun­kte.

STANDARD: Können Sie nach der zweiten Instanz in Berufung gehen? Boye: Ja, und von dort aus vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Aber wir glauben nicht, dass dieser Gang nötig sein wird. Wir vertrauen voll und ganz auf die belgische Justiz.

GONZALO BOYE (52) ist Verteidige­r der abgesetzte­n katalanisc­hen Minister Meritxell Serret und Toni Comín.

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Foto: Imago / Pacific Press Agency / Jorge Sanz In Barcelona wird Freiheit für die politische­n Gefangenen gefordert. Brüssel/Madrid
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