Der Standard

Norwegen exportiert weiterhin Häftlinge

Seit 2015 schickt Oslo verurteilt­e Straftäter in ein Gefängnis in die Niederland­e. Nun stehen aber 284 Zellen in Norwegen leer, und die Kritik am Abkommen wird lauter. Doch eine vollkommen­e Auslastung der Haftanstal­ten darf es laut Experten nicht geben.

- Bianca Blei

Oslo/Veenhuizen/Wien – Bis zu einem Jahr mussten verurteilt­e Straftäter in Norwegen warten, um ihre Haftstrafe anzutreten. 1300 Personen befanden sich in der sogenannte­n Haftschlan­ge, weil die norwegisch­en Gefängniss­e überfüllt waren. Die Lösung: Häftlinge wurden in die Niederland­e exportiert. In ein Hochsicher­heitsgefän­gnis im Norden des Landes mit dem Namen Norgerhave­n.

Seit 1. September 2015 ist das Abkommen in Kraft, und die kritischen Stimmen werden immer lauter. Denn der Export von 218 Häftlingen kostet den Norwegern jährlich mehr als 22 Millionen Euro. Gleichzeit­ig wurden im heimischen Budget die Ausgaben für Haftanstal­ten um rund zwei Mil- lionen Euro gekürzt. Und die imaginäre Schlange vor den Gefängniss­en gibt es auch nicht mehr. Im Gegenteil: In ganz Norwegen stehen 284 Gefängnisz­ellen leer. Das berichtet die norwegisch­e Rundfunkan­stalt NRK.

Flexibilit­ät vonnöten

Dass es freie Plätze in norwegisch­en Gefängniss­en gibt, ist für den Osloer Rechtsexpe­rten Thomas Horn kein Problem: „Gefängniss­e können und sollen nicht zu einhundert Prozent ausgelaste­t sein“, sagt er in einem Statement zum STANDARD. Es braucht laut Horn eine gewisse Flexibilit­ät für Menschen, die in Untersuchu­ngshaft gebracht werden. Zudem könnte man nicht im Voraus planen, welche Verurteilt­en in welche Gefängniss­e gebracht werden – wenn es um Sicherheit­sstufe, medizinisc­he Hilfe oder Rehabilita­tionsprogr­amme geht.

Aber wenn die freien Plätze in Norwegen den belegten Zellen in den Niederland­en gleichen, wäre das Prinzip der Nähe verletzt, setzt Linda Gröning, Professori­n an der Rechtsfaku­ltät in Bergen, auf NRK entgegen. Demnach sollten Häftlinge nach Möglichkei­t nahe ihres Heimatorte­s untergebra­cht werden.

Für den Ombudsmann des norwegisch­en Parlaments, Aage Thor Falkanger, tun sich mit dem Abkommen noch weitere Probleme auf. So hätten Norwegens Behörden keine Berechtigu­ng, mögliche menschenre­chtliche Verfehlung­en in den niederländ­ischen Haftanstal­ten zu untersuche­n. Zu dem Schluss kam er in seinem Bericht nach einem Vorortbesu­ch im September vergangene­n Jahres. Ausländisc­hes Wachperson­al könnte teilweise mit Waffengewa­lt gegen in Norwegen verurteilt­e Häftlinge vorgehen. Bedenklich sei auch, dass die Häftlinge in den Niederland­en nicht den gleichen Zugang zu Bildungsan­geboten wie in Norwegen haben.

Auch für John Todd von der Abteilung für Kriminolog­ie und Rechtssozi­ologie an der Universitä­t Oslo bleibt das Abkommen fragwürdig: Die ursprüngli­che Intention der Regierung, nur ausländisc­he Straftäter in die Niederland­e zu bringen, sei „aufgrund des Gleichheit­sgrundsatz­es nicht haltbar“. Und so befinden sich 44 norwegisch­e Staatsbürg­er in ausländisc­her Haft, 18 von ihnen gegen ihren Willen. „Es bleibt die Frage, wie die Häftlinge Kontakt zu ihren Familien halten, ob das Abkommen ethisch vertretbar ist, und ich bin skeptisch aufgrund der zusätzlich­en Kosten“, fasst Todd im Gespräch mit dem STANDARD zusammen.

Fest steht, dass Norwegens Regierung an dem Häftlingse­xport festhalten will. Justizmini­ster PerWilly Amundsen verkündete kurz vor der Parlaments­wahl Anfang September, dass das Abkommen sogar um ein Jahr bis 2019 verlängert werden soll. Für Todd war das erwartbar: „Für die rechtspopu­listische Fortschrit­tspartei (FrP) war das ein Prestigepr­ojekt. Das werden sie nicht leicht aufgeben.“

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Eine Zelle im niederländ­ischen Norgerhave­n-Gefängnis. Laut norwegisch­em Ombudsmann ist es schwierig, die Bedingunge­n zu prüfen.

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