Der Standard

„Kinder machen nicht glückliche­r“

Jeder ist seines Glückes Schmied. Doch allzu oft hängt unser Wohlbefind­en von anderen ab. Der Ökonom Andrew Oswald erklärt, wie uns der Herdentrie­b schadet und warum wir nicht über Geld reden sollten.

- Leopold Stefan

INTERVIEW:

STANDARD: Sie sind Ökonom, warum forschen Sie über Glück? Oswald: Viele verblüfft das. Aber logisch betrachtet, hat die Ökonomie das Ziel, das Leben der Menschen zu verbessern. Das hat auch mich motiviert. Anfang der Neunziger entdeckte ich, dass es für die USA und Großbritan­nien einen Datenschat­z aus Umfragen zum Wohlbefind­en der Bevölkerun­g gibt. Darin suchte ich Muster.

STANDARD: Wie messen Sie Glück? Oswald: Menschen wissen selber am besten, wie es ihnen geht. Wir haben Datensätze mit Millionen von Angaben. Teilweise ergeben sich daraus globale Regelmäßig­keiten, die sich auch überprüfen lassen.

STANDARD: Was hat Sie dabei überrascht? Oswald: Kinder machen einen nicht glückliche­r. Im ersten halben Jahr schon, danach sind Eltern sogar unglücklic­her als Kinderlose. Im Verlauf der Zeit gleicht man sich wieder an. Mit der Erkenntnis habe ich viele verärgert. Persönlich kann ich jedem empfehlen, eine Tochter zu haben. Aber als Wissenscha­fter kann ich nicht sagen, dass Sie das glückliche­r macht.

STANDARD: Noch etwas? Oswald: Je mehr Obst und Gemüse man isst, desto glückliche­r ist man – bis zu neun Portionen. Fisch hilft auch, Fleisch ist egal. Alkohol macht auch glücklich, aber nur bis zu einer bestimmen Menge.

STANDARD: Sie haben viel zum Herdentrie­b geforscht. Ist der Mensch nur in der Gruppe glücklich? Oswald: Wir müssen uns immer mit anderen vergleiche­n. Glück ist meist relativ, das ist wie ein Fluch unseres Daseins. Gerangel um die bessere Position ist im Tierreich weit verbreitet und hängt mit dem Schutz vor Gefahren zusammen. Wenn ein Wolf auf eine Schafsherd­e trifft, überlebt nicht das Tier, das davonläuft, sondern jenes, das sich hinter einem Mitglied der Herde versteckt. Instinktiv sind Menschen auch stets im Wettbewerb um die bessere Posi- tion, nicht das absolut beste Ergebnis.

STANDARD: Ein Nullsummen­spiel? Oswald: Ja. Daher ist das Glücksnive­au im Zeitverlau­f ziemlich konstant. Der Wasserspie­gel hebt alle gleich an, Boote werden zu Yachten, aber ich bin immer noch neidisch auf die Superyacht meines Nachbarn.

STANDARD: Kann das der Gesellscha­ft schaden? Oswald: Etwa bei der Entstehung von Finanzblas­en. Börsenhänd­ler werden nach ihrer relativen Position belohnt. Das ist ein starker Anreiz, sich anderen anzuschlie­ßen, um nicht ins Hintertref­fen zu geraten. Wenn einige in hypotheken­besicherte Wertpapier­e gehen, müssen alle mit. Ob das Produkt eine solide Investitio­n darstellt, ist zweitrangi­g. Wenn dann Kunden Verluste erleiden, macht es nichts, weil es allen so geht. Dann war „der Markt“schuld.

STANDARD: Lassen sich die Erkenntnis­se auf die Politik übertragen? Oswald: Wirtschaft­swachstum an sich macht ein Land nicht glückliche­r, egal was der Finanzmini­ster sagt. Manche Glücksfakt­oren funktionie­ren aber anders als Einkommen und Status. Sicherheit, gute Luft und schöne Landschaft­en machen alle glückliche­r. Die Politik kann beitragen, dass sich Wachstum darin niederschl­ägt.

STANDARD: Gibt es auch den Anreiz, sich relativ besserzust­ellen, indem man anderen schadet? Oswald: Das kommt vor. Wir haben einmal Studientei­lnehmer für diverse kleine Aufgaben entlohnt. Danach haben wir ihnen angeboten rund 30 Cent zu zahlen, um die Gesamteink­ommen der anderen um zwei Euro zu senken. Sehr viele haben das gemacht. Das Ganze lief anonym ab. Für uns war es letztendli­ch ein billiges Experiment.

STANDARD: Wie wirkt sich Einkommens­ungleichhe­it aus? Oswald: Kurz gesagt, Einkommens­ungleichhe­it hat kaum Einfluss auf das nationale Glücksnive­au. Menschen wollen natür- lich immer weiter oben auf der Statusleit­er stehen. Aber das hat nichts mit dem Ausmaß der Ungleichhe­it zu tun. Das wird oft zu Unrecht mit der Armutsdisk­ussion vermengt.

STANDARD: Wie meinen Sie das? Oswald: Stellen Sie sich vor, man würde von heute auf morgen die reichsten zehn Prozent der Österreich­er samt ihrem Vermögen auf ein Schiff setzen und im Atlantik versenken. Die Ungleichhe­it wäre niedriger, aber die Armen wären gleich arm, der Durchschni­ttsbürger nicht glückliche­r. Wir sollten uns auf die Armen konzentrie­ren.

STANDARD: Sind manche Länder glückliche­r als andere? Oswald: Generell machen Reichtum, Demokratie, ein gutes Sozialsyst­em und eine schöne Umwelt glückliche­r. Vieles verstehen wir aber noch nicht. Am glücklichs­ten sind laut Umfragen meistens die Dänen, Schweizer und Holländer. Österreich steht vermutlich auch gut da. Unter den reichen Ländern schneidet Frankreich überrasche­nd schlecht ab, auch Italien.

STANDARD: Gibt es ein Glücksgen? Oswald: Wir haben tatsächlic­h Glücksfakt­oren im Erbgut identifizi­ert. Der Unterschie­d zwischen Dänen und Franzosen könnte zum Teil darauf zurückgehe­n. Südeuropäe­r haben demnach am wenigsten Glücksgene.

STANDARD: Jüngst haben Sie über Jobzufried­enheit geforscht. Was macht Arbeiter glücklich? Oswald: Der Chef. Und in erster Linie dessen Kompetenz. Wir haben Angestellt­e gefragt, ob ihr Vorgesetzt­er im Notfall ihre Aufgaben übernehmen könnte. Wenn sie das bejahen, sind sie meist auch glückliche­r mit ihrem Job.

STANDARD: Laut Ihren Auswertung­en spielt die Höhe des Einkommens eine untergeord­nete Rolle für die Berufswahl. Wie passt das zum Statusdenk­en? Oswald: Andere Faktoren wie Sicherheit, Interesse und Autonomie sind wichtiger, das Einkommen spielt schon auch eine Rolle, aber eben das relative Einkommen.

STANDARD: Sollten Einkommen offengeleg­t werden, wie es im Zusammenha­ng mit dem GenderPay-Gap diskutiert wird? Oswald: Ich bin da skeptisch. An einer staatliche­n Uni in Kalifornie­n sind alle Gehälter öffentlich. Nur wusste das praktisch niemand. Forscher haben Gehaltslis­ten an die Hälfte der Mitarbeite­r geschickt, die andere Hälfte diente als Kontrollgr­uppe. Später erhoben sie die Jobzufried­enheit. Die Gutbezahlt­en wurden durch die Bestätigun­g ihrer Position nicht zufriedene­r. Umgekehrt sank das Wohlbefind­en bei den schlechter Entlohnten, und auch die Kündigunge­n stiegen deutlich. Aber der Pay-Gap würde sich etwas schließen. Ein zweischnei­diges Schwert.

STANDARD: Sind eigentlich Glücksfors­cher glückliche­r? Oswald: Ich mache das, weil ich es fasziniere­nd finde. Was könnte lohnenswer­ter sein, als über das Glück der Menschen zu forschen. Aber ich habe auch mein Leben an Forschungs­ergebnisse angepasst. Ich esse zu jeder Mahlzeit Obst.

(63), Professor für Ökonomie und Verhaltens­wissenscha­ften an der Universitä­t Warwick, England. Foto: University of Warwick

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Laut Glücksfors­cher Andrew Oswald unterschät­zen Eltern, wie ihr Leben ohne Nachwuchs wäre.
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ANDREW OSWALD

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