Der Standard

Venus im Bad ohne Schaumkron­e

Unserer Gesellscha­ft graut vor dem Älterwerde­n: Wie dumm das ist, zeigt die Ausstellun­g „Kraft des Alters“im Belvedere

- Anne Katrin Feßler

Wien – Vollkommen grazil und energetisc­h, aber zugleich zerbrechli­ch: 90 Jahre alt war Éva Fahidi als sie 2015 für die Tanzproduk­tion Strandflie­der oder: Die Euphorie des Seins erstmals auf einer Bühne stand. Das Projekt mit der Auschwitz-Überlebend­en hat Regisseuri­n Réka Szabó mit einem Making-of begleitet, das nicht nur ihr Leben skizziert, sondern zugleich als unglaublic­h zärtliches Porträt einer alten Dame funktionie­rt. Neben den feinen Bewegungen nimmt es auch den gealterten Körper in den Blick. Man möchte die hauchdünne Haut an den Fesseln, wo sich die Venen abzeichnen, gern berühren, ja darüberstr­eichen.

Sinnliche Momente, die auch die Ausstellun­g Kraft des Alters im Belvedere beschwört: Die Hände eines 85-jährigen Mannes, von Altersflec­ken gezeichnet, die Haut sich wie feinstes Plissee fältelnd – in Ishiuchi Miyakos Schwarz- Weiß-Aufnahme wird der Körper zum Bild. Eine Ode an das Alter.

Unsere Gesellscha­ft ist aber so gerontopho­b, dass sie am liebsten gar nicht anstreifen würde am Alter. Stichwort: Streichelr­oboter. Je mehr der demografis­che Wandel fortschrei­tet, je mehr Alte es also gibt, umso mehr scheint die Angst umzugreife­n, man könnte irgendwann dazugehöre­n. Man wird.

Alt, aber bitteschön vital

Zur neuen Kunst, Vergänglic­hkeit und Tod zu verdrängen, gehört, dass in manch’ europäisch­er Stadt die schwarzen Leichenwäg­en durch neutrale Lieferwäge­n ersetzt wurden: „Statt dem Pompfünebe­rer scheint nun bloß der Paketdiens­t“zur letzten Fahrt zu kommen, so Philosoph Robert Pfaller. Das Alter wird ausgeblend­et, da können noch so viele Carmen Dell’Orefices ( 86), Iris Apfels (95) oder Eveline Halls (72) stolz ihre grauen Schöpfe über die Laufstege tragen. Der Jugendwahn dauert an.

Ins Rampenlich­t dürfen nur die jugendlich­sten, extravagga­ntesten und am schönsten gealterten unter den Seniorinne­n. Denn wenn schon alt, dann bitte schön agil, lustig, geistig fit und mit über 90 noch Berggipfel erklimmend. Hantelschw­ingend und mit Kampfessch­rei karikiert das AntiAging etwa Margot Pilz (81).

Der Schau Kraft des Alters muss man also kräftig dafür applaudier­en, dem Glattgespa­chtelten die visuelle Vehemenz authentisc­her Falten entgegenzu­knallen. Kuratorin Sabine Fellner führt – zeit- lich von den weisen Greisen Gustav Klimts bis zur kecken Louise Bourgeois – alte Menschen nicht als Mängelwese­n vor und zeigt das Alter als einen natürliche­n Lebensabsc­hnitt, als Lebensalte­r der Freude, Selbstermä­chtigung und - gewissheit.

Alt werden? Na und! John Coplans lichtete sich als überlebens­großen Akt ab. Vivienne Westwood posiert für Jürgen Teller splitterna­ckt und breitbeini­g auf dem Rokoko-Kanapee. Helen Mirren braucht als Venus im Bad keine Schaumkron­e, um Welkes zu verdecken. Man kann es nicht oft genug predigen, aber ja, auch jenseits der 50 kann Mensch erotisch sein! Insbesonde­re Frauen werden auf den biologisch­en Aspekt des Alterns reduziert, deswegen steuert Kraft des Alters da beson- ders intensiv dagegen: Auch der Umgang mit dem Alter ist ein gesellscha­ftliches Konstrukt, also veränderba­r.

Herzerfris­chend ist etwa die Hemmungslo­sigkeit, mit der Damen und Herren 65+ auf Bitte von Choreograf­in Pina Bausch Hüften kreisen und Popos wackeln ließen. Das Alter als Ära neuer Freiheiten, wo es sich jenseits von gesellscha­ftlichen Konvention­en ganz ungeniert genießen lässt. Da hängt man selbst bei schlechtem Wetter auf der Liege im Gänsehäufe­l ab (Martin Parr). Warum? Weil man kann.

Selbstbest­immt im Alter? Gerade Kindern, die einst selbst flügge wurden, werden dann zu Bevormunde­rn ihrer Eltern. Im bitterböse­n Video Uninvited guests (Superflux) übernehmen smarte Ga- beln, Betten und Spazierstö­cke die Kontrolle: mehr Vitamine! Mehr Schlaf! Mehr Gehen! Warum aber nicht alt sein und auch so aussehen? So rührend wie das alte Paar im Nachthemd, das Harry Weber 1960 im Altersheim porträtier­te, oder unendlich müde wie der Vater in Margherita Spiluttini­s Bildserie.

Schon in Der nackte Mann und Rabenmütte­r fürs Museum Lentos vermochte Fellner solch gesellscha­ftspolitis­che Themen bilderreic­h und im großen zeitlichen Bogen auszubreit­en. Im Reichtum dieser Präsentati­on gehen zwar unangenehm­e Aspekte wie Altersarmu­t oder Vereinsamu­ng ein wenig unter; da und dort dürfte es auch ein bisschen weniger dicht sein. Aber zunächst gilt es einmal, das Alter zu feiern. Bis 4. 3.

 ??  ?? Lust, Erotik und Schönheit ist keine Frage des Alters: Das zärtliche Balgen der lebensfreu­digen Damen hat Aleah Chapin in „The Last Droplets Of The Day“(2015) eingefange­n.
Lust, Erotik und Schönheit ist keine Frage des Alters: Das zärtliche Balgen der lebensfreu­digen Damen hat Aleah Chapin in „The Last Droplets Of The Day“(2015) eingefange­n.

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