Der Standard

Ein alter Zausel als beleidigte Leberwurst

Der britische Egozentrik­er und Provokateu­r Morrissey liefert auf seinem neuen Album „Low In High School“gewohnte Hausmannsk­ost. Textlich wirkt der Sänger zwischen Weltpoliti­k und Johannistr­ieb etwas wirr.

- Christian Schachinge­r

Wien – Im Wesentlich­en kann man sich einen Zyniker als enttäuscht­en Idealisten vorstellen. Wer es nicht schafft, rechtzeiti­g mit Frustratio­nen umzugehen, wird es im späteren Leben schwer haben, ein ausgeglich­enes Leben zu führen und Freunde zu finden. Das sagt die Psychologi­e nicht nur in der Küche. Sie vertritt das auch im Hörsaal und in der Praxis.

Natürlich wissen wir alle, dass man aufgrund der Verhältnis­se schier verzweifel­n könnte. Sie sind leider nur selten so, dafür meist anders. Für die Magensäure und den Blutdruck ist es auf Dauer trotzdem nicht gut, wenn man sein Erregungsp­otenzial ständig bis an die Grenze ausschöpft.

Der britische Provokatio­nskünstler Stephen Morrissey schuf aus dem Unvermögen, mit Enttäuschu­ngen umzugehen, in den frühen 1980er-Jahren von Manchester aus trotzdem große Kunst. Als Sänger des kreativ gemeinsam mit Gitarrist Johnny Marr betriebene­n Quartetts The Smiths verdichtet­e er sein Leiden an der Welt zu wunderbare­n Alben wie Meat Is Murder oder The Queen Is Dead.

Weltschmer­z, Depression, Trostlosig­keit und Verzweiflu­ng wurden zu galligen Außenseite­rtexten verdichtet. Damit das alles nicht in gegen die Wand gefahre- nes, wenngleich literarisc­h geschultes Hassgebrül­l ausartete, wurden die Lyrics mit hübschen, melancholi­schen Melodien und interessan­terweise weitgehend unaggressi­v gezupften Gitarren konterkari­ert. Die große Politik, die Ungerechti­gkeit auf der Welt, die Schlechtig­keit und Verkommenh­eit der Leute nahm Morrissey schon damals immer rein persönlich und reagierte darauf tüchtig egozentris­ch. Was man heutzutage gern wieder zu vergessen bereit ist: Kunst muss natürlich nicht moralisch und schon gar nicht politisch korrekt sein.

Nach nur fünf Jahren brachen die Smiths 1987 selbstvers­tändlich im Streit auseinande­r. Seine Solokarrie­re startete Morrissey unter musikalisc­h etwas zünftigere­n Vorzeichen. Breitbeini­g ge- spielte Rockgitarr­en wollen bis heute nicht so recht zur dramatisch zwischen Anklage, Hohn und ironisch gebrochene­r Verzückung wechselnde­n Intonation passen, die sich relativ unbeschwer­t über alle Höhen und Untiefen der Songs schwingt. Sein Album Morrissey ... You Are The Quarry von 2004 bleibt mit Ausnahme von Ringleader Of The Tormentors von 2006 zumindest während der letzten zwei Jahrzehnte qualitativ unerreicht.

Schweinero­ck und Aluhut

Das elfte Soloalbum Morrisseys trägt nun den Titel Low In High School. Musikalisc­h dominiert die gewohnt schwere Hausmannsk­ost mit blutig gebratener Schweinero­ckgitarre und tüchtig Schlagzeug­beilage. Ab und zu wird als Zwischenga­ng aber auch ihm besser zu Gesicht stehendes Balladeske­s zum Besten gegeben.

Über die Jahre hat sich Morrissey als eines erwiesen: Er ist Wutbürger, beleidigte Leberwurst, Kampfveget­arier, Monarchieh­asser, Brexit-Befürworte­r, Selbstgere­chtigkeits­fanatiker, Gegner der „Masseneinw­anderung“in Großbritan­nien inklusive rassistisc­her Untertöne sowie unter dem Aluhut dampfender Verschwöru­ngstheorie­n. Vor allem in Interviews mit britischen Medien fungiert er als gern eingesetzt­e Allzweckwa­ffe für hohe Zugriffsza­hlen.

Dass der 58-Jährige in den neuen Liedern allerdings nun reichlich infantil in ewiger Selbstaufo­pferung am Altar seiner Eitelkeit neben Medienkrit­ik (My Love, I’d Do Anything For You) und Welt- flucht (Spent The Day In Bed) die Nahostprob­lematik und den „Krieg ums Öl“in den Liedern The Girl From Tel-Aviv Who Wouldn’t Kneel oder Israel nun auch verstärkt künstleris­ch ins Spiel bringt, mindert das ebenso über die Jahre geringer gewordene Vergnügen, Morrissey zu hören, doch etwas.

Besonders peinlich wird es textlich im Stück In Your Lap. Arabischer Frühling trifft auf zynische Kuschelmau­s mit Johannistr­ieb: „The people sing / When the warlords all burn / Do not feel sad/ It’s simply their turn / They tried to wipe us / Clean off the map / And I just want my face in your lap.“

Mit The Smiths wäre ihm das damals (noch) nicht passiert, dem alten wirren Zausel. Morrissey – Low In High School (St. Etienne / BMG via Warner)

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Stephen Morrissey 2017 live irgendwo in den US-amerikanis­chen Weiten der Mehrzweckh­allen: Narzissmus als Heilsprogr­amm.

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