Österreichs mächtigster Banker: Brexit nutzt den USA
Vom Brexit werden vor allem die USA profitieren, meint Paul Achleitner, Aufsichtsratspräsident der Deutschen Bank. Unter den Internetriesen sei Europa nicht vertreten, das will er im Finanzsektor verhindern.
STANDARD: Europas Banken wurden in den letzten Jahren von US-Instituten in Sachen Ertragskraft und Börsenwert überflügelt. Wird diese Entwicklung zu einer Konsolidierung auf dem Alten Kontinent führen? Achleitner: Man muss das im Gesamtkontext sehen. Alle europäischen Unternehmen stehen im starken Wettbewerb zur amerikanischen und insbesondere auch zu chinesischen Konkurrenz. Die große Herausforderung besteht nun darin, wie die Unternehmen mit der digitalen Revolution umgehen. Und ich meine, dass Europa hier möglicherweise sogar einen Vorteil hat.
Standard: Inwiefern? Achleitner: Digitalisierung heißt ja eigentlich im Grunde genommen, dass Arbeit dorthin verlagert wird, wo die Menschen leben, weil Arbeit immer weniger an Orte gebunden ist. Lebensqualität wird somit zu einem wesentlichen wirtschaftlichen Standortfaktor. Und die Lebensqualität und die sozialen Sicherungsnetze sind in Europa gut. Sie sind besser geeignet, um mit den Veränderungen umzugehen. Bei uns fällt niemand einfach ins Nichts. Das sind andere Voraussetzungen als in Asien oder den USA.
Standard: Reicht die Ausgangslage auch für die Zukunft? Achleitner: Diese Chancen können wir nur ergreifen, wenn wir nicht in eine Kleinstaaterei zurückfallen. Das gilt gerade für die Eurozone, in der Frankreich nach den Wahlen mit einer ausgestreckten Hand dasteht und sagt: Lasst uns gemeinsam die Zukunft gestalten.
Standard: Da gibt es derzeit aber niemanden in Deutschland, der die Hand ergreifen kann. Achleitner: Die Hoffnung kann nur sein, dass es in Deutschland zügig zu einer entscheidungsfähigen, belastbaren Regierung kommt.
Standard: Apropos Kleinstaaterei: Brexit und nationalistische Tendenzen sind eher das Gegenteil von mehr europäischer Integration. Achleitner: Das sehe ich anders. Der Brexit ist wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch eine Katastrophe. Aber er ist wie die derzeitige US-Regierung auch ein Katalysator für ein geeintes Europa. Den Europäern ist klargeworden, dass sie selber für ihre Zukunft verantwortlich sind. Auflösungserscheinungen sehe ich nicht.
Standard: Kommt jetzt die große Übersiedlungswelle von Banken aus London nach Frankfurt und Paris? Achleitner: Ich sehe das etwas differenzierter. Ich glaube, dass New York der größte Nutznießer einer abnehmenden Bedeutung der City of London sein wird. Die führenden Finanzinstitute sind in den USA. Die werden jetzt analysieren, warum welche Aktivitäten in Großbritannien angesiedelt sind. Wenn die Strukturen nicht zuletzt wegen der Digitalisierung ohnehin verändert werden müssen, stellt man sie gleich optimal auf. Wie gesagt geht Arbeit dorthin, wo die Menschen leben wollen. Und viele wollen nach New York. Es gibt viele Tätigkeiten, die genauso gut aus den USA heraus geführt werden können. Wenn die Position lautet: Das Euro-Clearing muss in der Eurozone angesiedelt sein, könnten die Amerikaner genauso gut fordern: Das DollarClearing muss in den USA stattfinden. Aber natürlich wird auch Frankfurt zusätzliche Aktivitäten übernehmen.
Standard: Zurück zur Konsolidierung: Rechnen Sie mit einer Fusionswelle? Achleitner: Das sind große Worte. Fusionen müssen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein und die Banken stärken. Größe alleine bringt keinen Mehrwert. Es ist aber zweifellos so, dass die USBanken den Kapitalmarkt domi- nieren. Wir in der Eurozone müssen uns die Frage stellen, ob wir mit eigenen Instituten mit dabei sein wollen. Die Antwort kann eigentlich nur Ja lauten. Wir Europäer müssen eigenständig agieren können.
Standard: Der Kapitalmarkt ist extrem globalisiert. Sie waren selbst lange bei Goldman Sachs. Spielt die Herkunft der Player überhaupt eine Rolle? Achleitner: Wir leben in einer Welt, in der Industriepolitik wieder ein akzeptierter Ausdruck wird. Das zeigt sich beispielsweise an „America First“und daran, dass die Chinesen aus ihren eigenen Interessen keinen Hehl machen. Die handels- und geopolitischen Diskussionen im vergangenen Jahr zeigen, dass ein Auseinanderbewegen der Interessen nicht so abwegig ist. Das kann uns in Europa nicht egal sein. Ich rede keinem falsch verstandenen Nationalismus das Wort, im Gegenteil. Die Frage ist, ob wir die gleiche Situation haben wollen wie in der Internetwirtschaft: Da sitzt kein Europäer mit am Tisch. Das hätte ich am Kapitalmarkt ungern.
Standard: Die Deutsche Bank hat in den letzten Jahren wenige Skandale ausgelassen und hohe Strafen ausgefasst. Wurde mittlerweile aufgeräumt? Achleitner: Ja, das haben wir. Von den 20 großen Rechtsfällen haben wir den überwiegenden Teil ganz oder teilweise abgeschlossen. Wir können wieder nach vorn schauen.
Standard: Als 2016 eine US-Strafe von 14 Milliarden Dollar drohte, brach Nervosität an den Finanzmärkten aus. Es gab die Befürchtung, die Deutsche Bank schlittere in eine existenzielle Krise. Achleitner: Wir hatten damals einen Rückgang der Liquidität, aber unsere Reserven betrugen immer noch fast 200 Milliarden Euro. Da kann man nicht von einer existenziellen Krise sprechen.
Den Europäern ist klargeworden, dass sie selber für ihre Zukunft verantwortlich sind.
Standard: Aber es gab auch Kontakte mit der Regierung, um die Möglichkeit von Staatshilfen auszuloten. Achleitner: In den Medien kursierte das Gerücht, dass die Deutsche Bank bei der Regierung angefragt habe, ob sie in den Diskussionen mit den Amerikanern hilft. Daraus wurde dann im Englischen das Wort „state aid“. Beides war falsch. Von Staatshilfe im Sinne einer finanziellen Unterstützung war nie die Rede. Sie wäre weder notwendig noch zulässig gewesen. Eine Bank ist von ihrer Reputation abhängig, wir mussten damals aufpassen, dass die Perzeption nicht zur Realität wird. Man kann eine Krise auch herbeireden. Dennoch ist die Frage berechtigt: Wie stabil muss eine Bank sein, um solche Diskussionen auszuhalten? Und noch ein Punkt ist wichtig: Es handelt sich um keine Strafe, sondern um einen Vergleich anstelle eines möglichen zivilrechtlichen Schadenersatzprozesses, den die Amerikaner einleiten hätten können – für Wertpapiere, die von 2005 bis 2007 verkauft wurden.
Standard: Apropos Stabilität: Sie mussten dann eine Kapitalerhöhung durchführen, die kein leichtes Unterfangen war. Achleitner: Um das ein bisschen einzuordnen: Wir sind heute eine der bestkapitalisierten Großbanken. Klar hätten wir das Geld lieber organisch verdient, anstatt es über eine Kapitalerhöhung aufzubringen. Jetzt schreien diejenigen laut, deren Ansicht nach wir früher zu wenig Kapital hatten: Wie wollt ihr das Geld verdienen, um das Kapital zu bedienen? Dank unseres weltweit guten Markennamens, Kundenverbindungen und Mitarbeitern bin ich sehr zuversichtlich, dass wir reüssieren werden.
Standard: Mittlerweile hat sich auch die Eigentümerstruktur verändert, der Mischkonzern HNA ist nun der größte Aktionär. Was sagen Sie zu den vorgebrachten Zweifeln an der Solidität der Chinesen? Achleitner: Jeder langfristig orientierte Investor, der Aktien der Deutschen Bank auf dem Markt kauft, ist uns willkommen. Es obliegt weder dem Management noch dem Aufsichtsrat, sich Aktionäre auszusuchen oder deren Beweggründe zu hinterfragen.
Standard: Aber ganz alltäglich ist es nicht, dass die Eigentümerstruktur eines Großaktionärs und dessen Stabilität unklar sind. Achleitner: Erstens trifft uns das nicht direkt. Zweitens wurde untersucht, ob sich einzelne Großaktionäre (HNA und Katar, Anmerkung) verabredet hatten. Das würde dazu führen, dass sie gemeinsam über die Meldeschwelle von zehn Prozent gekommen wären. Der ursprüngliche Verdacht in den Medien hat sich als nicht korrekt erwiesen. Daher haben die verantwortlichen Regulatoren die Untersuchung eingestellt.
Standard: Ein kleineres Aktienpaket hat der Beteiligungsfonds Cerberus erworben, der auch Großaktionär der Bawag ist. Bahnt sich da etwas mit der Bawag an? Achleitner: Wir freuen uns, wenn einzelne Aktionäre Anteile erwerben. Aber die Strategie des Hauses wird nicht von Aktienpaketen mit drei, fünf oder etwas höheren Prozentsätzen bestimmt. Einzelinteressen von Aktionären können nicht im Vordergrund stehen, wir müssen allen Anteilseignern gleichermaßen gerecht werden.
Standard: Wo will die Deutsche Bank in Österreich Akzente setzen? Achleitner: Wir sind in Österreich erfolgreich und zufrieden. Selbstverständlich wollen wir mehr machen, wer will das nicht. Wir sind ein globales Institut, das hilft unseren Kunden. Dazu kommen das sehr tiefe Kapitalmarkt-Knowhow und die führende Rolle bei Handelsfinanzierungen und im Zahlungsverkehr. Nur wenige europäische Banken sind so international und global aufgestellt.
Standard: Sie wurden 2000 unter Schwarz-Blau Aufsichtsrat der Staatsholding ÖIAG. Sollte unter der künftigen Regierung wieder der Ruf nach Ihrem Engagement erschallen, würden Sie dem folgen? Achleitner: Danke der Nachfrage, ich bin mit meinen gegenwärtigen Mandaten gut ausgelastet.
PAUL ACHLEITNER (61) ist seit Mai 2012 Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, davor war er als Finanzvorstand der Allianz treibende Kraft hinter dem letztlich gescheiterten Verkauf der Dresdner Bank an die Deutsche Bank. Der oberösterreichische Jurist war von 2000 bis 2004 Aufsichtsrat der Staatsholding ÖIAG.