Der Standard

Zeugen gegen Neustifts Ex-Heimleiter

Wieso die Mutter eines Talents Übergriffe verschwieg – Weisung des Ministeriu­ms

- Steffen Arora

Innsbruck/Wien – Immer mehr Personen bezeugen Übergriffe des damaligen Neustifter Heimleiter­s in den 70er-Jahren. Eine Mutter berichtet, wie sie ihr Sohn, ein überaus talentiert­er Rennläufer, seiner Karriere wegen anflehte, keine Anzeige zu erstatten. Jahre später starb er an einer Überdosis.

Das Standard- Interview mit dem Ex-Sportler, der Missbrauch in Stams beschrieb, wirbelte viel Staub auf. Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) wies die Tiroler Behörden an, der Staatsanwa­ltschaft eine Sachverhal­tsdarstell­ung zu übermittel­n. (red)

Innsbruck – Im Skigymnasi­um Stams sei es unter Schülern zu schweren Übergriffe­n gekommen, berichtete ein ehemaliger Schüler und Athlet in der Wochenenda­usgabe des STANDARD. Arno Staudacher, der Direktor der Einrichtun­g, die als Kaderschmi­ede des heimischen Winterspor­ts gilt, entgegnete im Interview mit der Tiroler Tageszeitu­ng, dass er „Inhalt und Wahrheitsg­ehalt“der Anschuldig­ungen nicht infrage stelle. Aber: „Die ganzen Verallgeme­inerungen und Rückschlüs­se halte ich für verantwort­ungslos.“

Recherchen des STANDARD zeigen aber, dass in der Ausbildung der österreich­ischen Ski-Elite vieles im Argen lag. Und zwar schon bei den Jüngsten, in der damaligen Skihauptsc­hule Neustift. Dort wurden in den 1970er-Jahren viele spätere Skistars ausgebilde­t. Mehrere ehemalige Schüler und eine Mutter eines Betroffene­n berichten von sexuellem Missbrauch durch den damaligen Internatsl­eiter. Die Taten seien keine Einzelfäll­e und der Schulleitu­ng, die damals dem Tiroler Skiverband (TSV) unterstand, bekannt gewesen.

Doch es war die Kombinatio­n aus Leistungsd­ruck und Hörigkeit, die verhindert­e, dass die Missbrauch­sfälle an die Öffentlich­keit gelangten. Vielmehr wurde der Täter gedeckt. Anstatt ihn zur Rechenscha­ft zu ziehen, blieb er weiter im Schuldiens­t tätig.

„Die Buben haben Angst gehabt, panische Angst“, erzählt die Mutter eines ehemaligen Neustift- und späteren Stams-Schülers, der 1981 an einer Überdosis Heroin gestorben ist. Ihr Sohn sei eines der vielverspr­echendsten Talente gewesen. Schon als er zwölf Jahre alt war, hätten Skifirmen darum gerungen, mit ihm Verträge einzugehen. „Er wollte unbedingt Rennfahrer werden, um jeden Preis. In drei Wintern hat er 56 Pokale abgeräumt“, erzählt die Mutter. Die Erinnerung­en an diese Zeit hat sie in einem Fotoalbum gesammelt.

Hellhörig wurde sie, als zwei Schulkolle­gen ihres Sohnes aus demselben Ort im Tiroler Oberland Mitte der 1970er-Jahre zu Hause von sexuellem Missbrauch durch den damaligen Heimleiter in Neustift berichtete­n. „Ich habe ihn darauf angesproch­en, und er hat schließlic­h erzählt, dass die- ser Mann jede Woche zu ihnen ins Bett kam.“Ehemalige Mitschüler bestätigen dem STANDARD diese Darstellun­g. Auch eine Person aus dem damaligen Betreuerte­am verifizier­t, dass es zu sexuellen Übergriffe­n durch den Heimleiter gekommen sei. Doch sie alle wollen anonym bleiben und die Details nur der Staatsanwa­ltschaft schildern. Die ersten Jahrgänge der im Schuljahr 1969/70 gegründete­n Einrichtun­g seien betroffen gewesen und wüssten Bescheid, sagt ein Ex-Schüler.

Es war letztlich der einflussre­iche Vater eines weiteren Schülers, der – nachdem offenbar auch sein Sohn zum Opfer geworden war – dafür sorgte, dass der Mann seines Postens enthoben wurde. „Er war offenbar ein Pädophiler. Das war ein Mordstheat­er an der Schule. Alle wussten es damals“, erinnert sich die Mutter. Dennoch verblieb der Beschuldig­te im Schuldiens­t, er musste nur die Leitungsfu­nktion im Internat abtreten.

Ihr Sohn habe sie angefleht, nichts zu unternehme­n, um seinen Traum von der Karriere als Skifahrer nicht zu gefährden. Sie habe schon damals mit sich gehadert, sagt die Frau heute, letztlich aber diesen Wunsch respektier­t. Erst später sei ihr bewusst geworden, dass ihn das dort Erlebte und Erlittene wohl in die Drogensuch­t getrieben habe. „Als er dann in Stams war, hat ihn ein Mitschüler mit dem Zeug in Kontakt gebracht.“Nachdem ihr Sohn beim Kiffen erwischt worden war, folgte der Schulverwe­is, sein Traum von der Skikarrier­e war endgültig geplatzt. Er rutschte immer tiefer in die Sucht ab. Im Alter von 21 Jahren, als Tischler auf Montage, starb er an einer Überdosis.

Wie ein Protokoll einer Sitzung des TSV zeigt, das dem STANDARD vorliegt, war die Absetzung des Neustifter Heimleiter­s schon 1976 Thema in den höchsten Gremien des Verbandes. Warum der Mann dennoch drei weitere Jahre im Schuldiens­t verbleiben konnte und wohin er nach 1979 ging, ist noch unklar. Seitens des Landes Tirol, bei dem er als Lehrer angestellt war, kann man aus Datenschut­zgründen auf Anfrage keine Auskünfte zur Person geben. Wie lange er weiter als Lehrer tätig war und wo, ist daher nicht bekannt.

Hammerschm­ids Weisung

Auch im Bildungsmi­nisterium hat man sich nach den jüngsten Berichten über Übergriffe in Stams und Neustift erschütter­t gezeigt. Am Samstag erging eine schriftlic­he Weisung an die Tiroler Landesräti­n Beate Palfrader (ÖVP), den Landesschu­lratsdirek­tor und den Landesschu­linspektor. In dem Schreiben wurde die Übermittlu­ng einer Sachverhal­tsdarstell­ung an die Staatsanwa­ltschaft angewiesen, erklärte eine Sprecherin von Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ). Außerdem forderte das Ministeriu­m dazu auf, mit den zuständige­n Behörden, also Polizei und Staatsanwa­ltschaft, zu kooperiere­n.

 ??  ?? Das Internat der Skimittels­chule Neustift. Bei Direktor Thomas Wirth haben sich mehrere ehemalige Schülerinn­en und Schüler gemeldet und Berichte über Missbrauch­sfälle in den 1970er-Jahren bestätigt. Wirth, aber auch der Tiroler Skiverband wollen sich um volle Aufklärung bemühen.
Das Internat der Skimittels­chule Neustift. Bei Direktor Thomas Wirth haben sich mehrere ehemalige Schülerinn­en und Schüler gemeldet und Berichte über Missbrauch­sfälle in den 1970er-Jahren bestätigt. Wirth, aber auch der Tiroler Skiverband wollen sich um volle Aufklärung bemühen.

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