Der Standard

Mehr Merkel als Thatcher

Kompromiss­bereite Theresa May in Brüssel – Trotz Anfeindung­en bietet sich zu ihr keine Alternativ­e

- Sebastian Borger aus London

Ihre Vorgänger haben stets die Augen gerollt, wenn ein europäisch­er Termin anstand. Nicht schon wieder der blöde EU-Kram, stöhnten Labour-Mann Tony Blair oder der Konservati­ve David Cameron gern. Für Theresa May stellt der heutige Besuch in Brüssel hingegen fast so etwas wie eine willkommen­e Abwechslun­g dar.

„May in der Krise“, „May unter Druck“, „Mays Autorität in Zweifel“, schreiben die britischen Zeitungen seit Monaten. Im Gespräch mit EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker darf die britische Regierungs­chefin wenigstens auf ein wenig Respekt hoffen.

Gewiss lässt sich argumentie­ren: Der Respekt ist relativ und teuer erkauft. Relativ zu ihrem Brexit-Chefunterh­ändler David Davis, den auf EU-Seite kaum jemand ernst nimmt, genießt sie hohes Ansehen. In den entscheide­nden Fragen bewegte sie sich zum richtigen Zeitpunkt, dabei beraten von ihrem EU-Sherpa Oliver Robbins. Dass dieser im September als beamteter Staatssekr­etär aus dem Brexit-Ministeriu­m ins direkt May unterstell­te Kabinettsb­üro wechselte, stellt sich als Entmachtun­g für Davis heraus.

Teuer erkaufen musste sich May den Fortschrit­t in den BrexitVerh­andlungen, der dem Termin mit Juncker zugrunde liegt. Allem Anschein nach folgen die Briten nun den EU-Berechnung­en und akzeptiere­n Bruttoverb­indlichkei­ten von bis zu 98 Milliarden Euro. Auch bei den anderen, bisher umstritten­en Themen – den Rechten von EU-Bürgern auf der Insel sowie der zukünftige­n Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden – scheint London den Vorstellun­gen auf EUSeite entgegenzu­kommen.

Überzeugun­gsarbeit

Viel spricht dafür, dass May mit dem von London ersehnten Preis aus Brüssel zurückkehr­en kann: Junckers positive Bewertung der britischen Zugeständn­isse würde es den 27 Partnerlän­dern ermögliche­n, beim Gipfel kommende Woche den Weg zu Verhandlun­gen über die zukünftige­n Handelsbez­iehungen frei zu machen. Umgekehrt muss May die Skeptiker in Fraktion und Kabinett davon überzeugen, dass für den geregelten Austritt aus der EU im März 2019 erhebliche, auch schmerzhaf­te Zugeständn­isse nötig sind.

Wie schwierig diese Aufgabe ist, verdeutlic­hte am Sonntag ein offener Brief altbekannt­er Europahass­er wie Nigel Lawson und John Redwood. Die früheren Minister wollen von der EU bis Ende März Handelszug­eständniss­e sehen und bestehen darauf, dass die Rechtsspre­chung des EuGH nicht mehr gelten soll. Notfalls solle May sämtliche Zahlungen verweigern, fordern die Abgeordnet­en.

Da ist sie wieder, die alte Sehnsucht nach der harten Kompromiss­losigkeit einer Margaret Thatcher („I want my money back“). May hat die Erinnerung an die legendäre Vorgängeri­n (1979 bis 1990) selbst geschürt, ihre Brexit-Reden vor Jahresfris­t klangen wie Wunschzett­el der Tory-Nationalis­ten. Dann brach sie, von den Umfragen ermutigt, die Unterhausw­ahl vom Zaun, bei der ihr das Volk den Erdrutschs­ieg und damit den härtesten Brexit verweigert­e.

Sechs Monate nach dem Wahldebake­l bewohnt May noch im- mer die Downing Street. Mittlerwei­le ist statt einer „eisernen Lady“eher eine englische, also wenig emotionale Angela Merkel zu sehen. May sitzt alles aus: bereits erfolgte Ministerrü­cktritte; längst fällige, aber noch nicht erfolgte Ministerrü­cktritte; düstere Wirtschaft­szahlen. Das böse Verdikt des Economist – May sei „eine Frau von durchschni­ttlichen Überzeugun­gen und höchstens durchschni­ttlichen Fähigkeite­n“– ändert nichts daran: Niemand, der sich für fähiger hält, könnte die Chefin derzeit stürzen.

Umstritten­es Bündnis

Höchstens der Kardinalfe­hler aus den Paniktagen vom Juni mag ihr zum Verhängnis werden: Damals schlossen die Tories ein Bündnis mit der Unionisten­partei Nordirland­s (DUP), die einer Lösung der Irland-Frage im Weg steht. Dabei bleibt den Belfaster Ultras etwas anderes als die Unterstütz­ung der May’schen Minderheit­sregierung gar nicht übrig – riskieren sie doch bei Neuwahlen den Triumph von Labour-Chef Jeremy Corbyn, der den Anschluss Nordirland­s an den republikan­ischen Süden befürworte­t.

Bis zum nächsten Problem wurstelt sich die Premiermin­isterin weiter durch. Und einstweile­n deutet nichts darauf hin, dass sich an der Konstellat­ion etwas ändert, die sie an der Macht hält.

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Foto: Reuters / Toby Melville Viele hegen den Wunsch nach Theresa May als „eiserner Lady“.

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