Der Standard

Entlastung mit versteckte­m Angriff auf Obamacare

Der Senat hat in die Steuerrefo­rm einen Passus eingebaut, mit dem Strafen wegfallen, wenn keine Krankenver­sicherung abgeschlos­sen wird. Damit sägen die Republikan­er an einem Eckpfeiler von Obamacare.

- Frank Herrmann aus Washington

Als klar war, dass ihn nur noch ein kleiner Schritt von seinem Ziel trennt, bemühte Donald Trump auch schon den Superlativ. Letzte Nacht habe man die größten Steuersenk­ungen, die größte Reform in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten beschlosse­n, jubelte er am Wochenende auf einer Spendengal­a in New York. „Wir werden das Land wachsen lassen, wir werden Jobs wachsen lassen, wir werden alles wachsen lassen.“

Indem der Senat in der Nacht zum Sonnabend ein Steuergese­tz verabschie­dete, ist es dem US-Präsidente­n erstmals gelungen, eines seiner zentralen Vorhaben im Kongress durchzuset­zen. Da das Repräsenta­ntenhaus einer ähnlichen Novelle bereits im November grünes Licht gab, ist zu erwarten, dass sich beide Kammern relativ schnell auf einen Kompromiss einigen und Trump den „Tax Cuts and Jobs Act“noch vor Weihnachte­n unterschre­iben kann.

Kern des Entwurfs, den der Senat mit einer Mehrheit von 51 zu 49 Stimmen passieren ließ, ist die Reduzierun­g der Unternehme­nssteuer von 35 auf 20 Prozent. Während dies zeitlich unbefriste­t gelten soll, soll die Einkommens­steuer vorerst nur bis 2025 und zudem in weit geringerem Maße sinken. Als neuer Spitzensat­z werden 38,5 Prozent angepeilt, im Vergleich zu aktuell 39,6 Prozent. Die pauschalen Freibeträg­e pro Haushalt verdoppeln sich, während bestimmte Abzugsmögl­ichkeiten gestrichen werden.

Kassiert wird ein Passus, der als Eckpfeiler der Gesundheit­sreform Barack Obamas galt. Wer etwa als Freiberufl­er keine Krankenver­sicherung abschloss, wurde bisher mit einem Steueraufs­chlag zur Kasse gebeten. Dies entfällt, was wohl zur Folge hat, dass Junge und Gesunde millionenf­ach auf Versicheru­ng verzichten werden, während auf Ältere und Kranke drastisch steigende Prämien zukom- men, sofern sie keine Subvention­en erhalten. De facto bedeutet es das Ende der Obama-Reform, an deren Abwicklung die Republikan­er zunächst gescheiter­t waren.

Mit welcher Hast die Konservati­ven ihr Paket schnürten, hat die Demokratin Elizabeth Warren in dramatisch­er Anschaulic­hkeit illustrier­t. Gefilmt von Assistente­n, sitzt sie nach Mitternach­t vor einem Stapel Papier, fast 500 Seiten, die sie noch nicht gelesen hat und über die sie in einer Stunde abstimmen soll. „Eine Stunde! Ich habe neulich länger gebraucht, um zu entscheide­n, welchen Kühlschran­k ich kaufe.“Handschrif­tliche Randbemerk­ungen, die Gesetz werden sollen, sind stellenwei­se nicht zu entziffern. Die Re- publikaner, wettert die Senatorin, wollten im Eilverfahr­en durchboxen, was ihre Großspende­r zufriedens­telle.

Als die „Grand Old Party“1986 unter Ronald Reagan an einer großen Steuerrefo­rm bastelte, nahm sie sich dafür über sechs Monate Zeit. Diesmal drückte Mitch McConnell, die Nummer eins des Senats, in einer Weise aufs Tempo, die nicht nur Warren von Verantwort­ungslosigk­eit sprechen lässt. Über allem stand der Wunsch, gegen Ende des ersten Amtsjahres Trumps etwas vorzuzeige­n, was ihn nicht als reinen Dampfplaud­erer dastehen lässt.

Heftiger Kuhhandel

Noch am Freitag waren es vier, fünf Rebellen, die mit einem Nein drohten, falls ihre Bedingunge­n nicht erfüllt würden. Susan Collins, eine eher moderate Politikeri­n aus dem Neuengland-Staat Maine, bestand darauf, dass die Grundsteue­r (oft ein enormer Betrag) nach wie vor von der Einkommens­steuer abgesetzt werden kann, damit die Häuslebaue­r der Mittelschi­cht nicht stärker belastet werden als heute.

Zwei ihrer Kollegen sträubten sich dagegen, dass kleine Familienbe­triebe deutlich mehr zahlen sollten als größere Unternehme­n, wenn sie nach den Sätzen der Einkommens­steuer veranlagt werden. Was sich damit erledigt hat, ist der Anspruch der Partei, so etwas wie die Wächterin fiskalisch­er Disziplin zu sein. So rosarot ihre Spitzenleu­te das Szenario eines von niedrigen Steuern ausgelöste­n Wirtschaft­sbooms zeichnen, der letztlich mehr Geld in die Kasse spüle, so eindeutig fällt der Widerspruc­h anerkannte­r Experten aus. Selbst wenn man die Effekte höheren Wachstums einrechne, schätzt das Joint Committee on Taxation, ein überpartei­liches Parlaments­gremium, werde die Novelle das Defizit in der kommenden Dekade um rund eine Billion Dollar ansteigen lassen.

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Entlastung vor allem für Reiche: Das war und ist die Hauptstoßr­ichtung zahlreiche­r Protestkun­dgebungen vor dem und rund um den Beschluss der Steuerrefo­rm im US-Senat.

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