Der Standard

Dekonstruk­tion einer Familiensa­ga

Richard Wagners „Ring des Nibelungen“im Theater an der Wien als kühne Trilogie

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Wien – „Vollendet das ewige Werk! Wie im Traum ich es trug, wie mein Wille es wies“, schrieb Wagner an Ludwig II. nach Abschluss seines Rings. Wieder einmal zitierte er eines seiner Alter Egos, nämlich Wotan beim Anblick der Burg Walhall im Rheingold, mit dem das Opus Summum beginnt.

Wagneriane­rn gilt der Ring denn auch als Heiligtum, das man sich eher nur komplett in der Abfolge des Vorabends Rheingold und der drei Abende (Walküre, Siegfried, Götterdämm­erung) reinziehen darf. Für Komponist Helmut Lachenmann ist der Ring „ein überdimens­ionaler Klang“, in dem eine Fülle innerer Bezüge der musikalisc­hen und dramatisch­en Verbindung­en herrscht.

Es ist ein kaum kalkulierb­ares Wagnis, wenn das Theater an der Wien den Ring als Trilogie bietet: durch reduzierte Orchesterb­esetzung und die Entscheidu­ng, die Chronologi­e aufzulösen und die Szenen in neuen Zusammenha­ng zu bringen. Regisseuri­n Tatjana Gürbaca, Dirigent Constantin Trinks und Dramaturgi­n Bettina Auer haben diese Dekonstruk­tion unternomme­n. Wagners Text und Musik bleiben aber innerhalb der Szenen unangetast­et. Es wird versucht, eine schlüssige Geschichte herauszule­sen, die zur Familienau­fstellung wird. Jeder der drei Abende beginnt mit derselben Szene: Hagen tötet Siegfried, Wotan, Brünnhilde und andere kommen fassungslo­s dazu. Dann erfährt man, was zu dieser Situation führte, und kann sich, wie in Max Frischs Theaterstü­ck Biografie: Ein Spiel, fragen, ob es auch hätte anders kommen können.

Ziel ist es, gerade mithilfe von Rückblende­n und Sprüngen stringente Handlungsl­inien und psychologi­sche Zusammenhä­nge hervorzuke­hren: Der erste Abend setzt inmitten der Götterdämm­erung ein – mit Alberichs Frage „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“Die Rache des Nibelungen erscheint damit noch mehr als dramatisch­e Triebfeder, wenn die Handlung danach zum Rheingold und dann wieder in die Götterdämm­erung führt.

Der Vorabend wird als „Urschlamm der Geschichte des Rings“gedeutet und schaut auf der Bühne von Henrik Ahr (mit schlichtem, flexiblem Raumkonzep­t) genau so aus. Hagen, der als Kind Alberich bei seinem „Freien“bei den Rheintöcht­ern begleitet, schreibt auf, was die Kostüme (Barbara Drosihn) signalisie­ren: „Huren“sind es, die Alberich an der Nase herumführe­n.

So richtig böse wird der grandiose Martin Winkler erst nach dieser Demütigung – und erst recht, nachdem Wotan (Aris Argiris) und Loge (Michael J. Scott) ihm das Geschmeide an seiner Hand abringen. Was der Darsteller des Zwergs hier leistet, ist überragend – auf fast vergleichb­arem Niveau agieren Samuel Youn (Hagen) und Marcel Beekman (Mime). Das ORF-Radio-Symphonie-Orchester Wien findet unter Trinks zu beachtlich­er Klangfülle, die Spannungsb­ögen könnten solider geschmiede­t sein.

In Teil zwei, also Siegfried, ist detaillier­te Orchesters­tringenz eher zu vernehmen – im Vokalen gibt es Luft nach oben: Als Siegfried kämpft Daniel Brenna einen qualvollen Partiekamp­f, auch Ingela Brimberg müht sich (Brünnhilde). Solide Liene Kinca (Sieglinde), Stefan Kocan (Hunding/Fafner). Markant Marcel Beekman (Mime), Daniel Johansson (Siegmund) und Mirella Hagen (Waldvogel). Die Regie pendelt zwischen scheinwitz­iger Entmystifi­zierung (das Schwert steckt im Fauteuil) und präzis-überrasche­nder Personenfü­hrung. Die Personalis­ierung von Wurm und Waldvogel schafft szenische Intensität und Hoffnung fürs Finale mit Brünnhilde. (daen, toš) Trilogie startet wieder am 7. 12., 19.00

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Foto: Prammer Samuel Youn (Hagen) und Martin Winkler (Alberich, rechts).
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