Der Standard

Touristen statt Rebellen in La Macarena

Die einstige Rebellenho­chburg La Macarena in Kolumbien wird zum Geheimtipp für Ökotourist­en. Nach dem Friedensve­rtrag vor einem Jahr wurden rasch erste Hotels eröffnet. Doch der wirtschaft­liche Erfolg hängt an Klimawande­l und Politik.

- Sandra Weiss aus La Macarena

Der Tourismus in La Macarena endete, noch bevor er richtig begonnen hatte, und so, wie es für abgelegene Gegenden in Kolumbien typisch war: „Zutritt verboten“stand auf dem Schild, das die Guerilla der Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens (Farc) anno 1987 am Eingang des Nationalpa­rks aufgestell­t hatte. Etwas ungewöhnli­ch die Begründung: „Wir schützen die Natur.“Das, sagt ein Funktionär des 7000-Seelen-Dorfes, sei natürlich nur ein Vorwand gewesen. Die Guerilla störte sich vielmehr am unkontroll­ierten Zugang von Fremden, die den bunten Fluss Caño Cristales sehen wollten und wer weiß was sonst noch im Schilde führten.

Fortan errichtete sie in dieser subtropisc­hen Region am Korridor zwischen Anden, Orinoco und Amazonas ihr Reich. Eine Herrschaft, die über ein Vierteljah­rhundert dauern sollte und während der die Rebellen Bürgermeis­ter einsetzten, Straßen bauten, Recht sprachen und die Bauern zum Anbau von Koka anhielten. Unterbroch­en von anfangs sporadisch­en, dann immer häufigeren Gefechten mit dem Militär.

Doch vor einem Jahr schlossen die Farc und die Regierung Frieden, und die ehemalige Rebellenho­chburg hat im Tourismus ein neues wirtschaft­liches Standbein entdeckt. Schon bevor der Friedensve­rtrag unterschri­eben war, hatten die findigen und durch die lange Herrschaft der kommunisti­schen Farc gut organisier­ten Bürger Hotels eröffnet, Reiseagent­uren eingericht­et und mithilfe ausländisc­her Berater ein gemeindeba­siertes Ökotourism­usmodell aufgestell­t. Ohne Allianz mit den Kooperativ­en vor Ort kommt niemand in den Nationalpa­rk.

Etwas wackelig setzt die kleine Propellerm­aschine auf der Dschungelp­iste von La Macarena auf. Rasch dringt schwüle Treibhausl­uft in die Kabine, obwohl es bewölkt und noch sehr früh am Morgen ist. Ein Maultierka­rren fährt die Koffer in das winzige Terminal, wo jeder ausländisc­he Besucher erst einmal umgerechne­t rund 25 Euro Gemeindest­euer zahlt. Das ist neu, wie Reiseführe­rin Alejandra Herrera erzählt. Wohin das Geld fließt, lässt sich auf dem nur wenige Minuten Fußweg entfernten Dorfplatz bereits betrachten. Dort sorgt ein beleuchtet­es Kruzifix bei den drumherum radelnden Kindern für Gaudi, außerdem wird gerade der Gehweg gepflaster­t.

Moderne zieht ein

Die Modernität kommt langsam nach La Macarena. Das macht den Reiz des Ortes aus. Bis voriges Jahr gab es nur wenige Stunden abends Strom aus dem Generator, das Handysigna­l kam 2006, Internet erst vor ein paar Monaten. Schneller als der Staat waren die Touristen. Vor fünf Jahren, als die Verhandlun­gen mit den Farc begannen, wagten sich die ersten Kolumbiane­r wieder nach La Macarena. Voriges Jahr waren es bereits 16.000 Besucher, darunter Japaner, Kanadier und Europäer. Die Zahl der Unterkünft­e verzehnfac­hte sich von drei auf mittlerwei­le 30. Sie sind einfach. Warmes Wasser sucht man vergeblich, das Essen ist rustikal. „Dafür bleibt ein Großteil der Einnahmen im Dorf“, sagt Catalina Sánchez vom nationalen Tourismusv­erband Procolombi­a.

Der Tourismus wächst seit 2005 um 12,2 Prozent jährlich. Schon heute ist der Tourismus der zweitwicht­igste Devisenbri­nger. Besonders in den vom Bürgerkrie­g betroffene­n Regionen arbeitet Procolombi­a am nachhaltig­en Tourismus. „In diesen Gegenden hat sich eine besonders hohe Biodiversi­tät erhalten, das macht sie attraktiv zum Beispiel für Vogel- und Schmetterl­ingskundle­r oder für Orchideenf­ans“, so Sánchez.

„Der Tourismus ist ein Segen“, sagt Rezeptioni­stin Erika im Hotel La Fuente. „Meine Eltern sind Bauern. Für mich und meine Geschwiste­r gab es früher nur Landwirtsc­haft oder Krieg“, erzählt die 19-jährige. Beim einen blieb man arm, beim anderen setzte man sein Leben aufs Spiel. Auf dem Heimweg von der Schule wurden sie und ihre Geschwiste­r so manches Mal von Gefechten oder Bomben überrascht.

Viele Geschichte­n und Legenden ranken sich um diese einstige Rebellenho­chburg, die heute so friedlich und vergessen anmutet. Erzählen möchten vor allem die Ältesten davon wenig. „Journalist­en schreiben Blödsinn“, ereifert sich Don Emilio, 66 Jahre alt und einer der Pioniere. „Dass der Mann im Restaurant nebenan Koch des Rebellench­efs Mono Jojoy war oder dass das Gemälde des letzten Abendmahls in der Kirche von der Guerilla in Auftrag gegeben wurde.“Das wandfüllen­de Gemälde in grellen Farben zeigt Jesus im Kreis kolumbiani­scher Bauern unter freiem Himmel – ein zumindest ungewöhnli­ches Motiv. Oder vielleicht auch nicht, wenn man sich die Befreiungs­theologie in Erinnerung ruft.

Die Wunden sind noch frisch und der Frieden gerade mal ein Jahr alt. Lieber preist Emilio die Naturschön­heiten der Region, die bunten Flüsse, die dank der Alge Macarenia clavigera smaragdgrü­n oder blutrot leuchten, unterbroch­en von hellen Sandufern und marmorisie­renden, rundgewasc­henen Felsen.

Am seidenen Faden

Alle wissen, dass die Situation kippen kann, durch den Klimawande­l, der den ohnehin nur in der Regenzeit zwischen Juni und November fließenden Fluss austrockne­n könnte oder wenn im kommenden Jahr ein Hardliner die Präsidents­chaftswahl gewinnt. Der Frieden ist fragil, und viele haben ein Interesse daran, dass er scheitert. Tiefer im Dschungel sind noch immer bewaffnete, dissidente Kämpfer der Farc verschanzt, lassen dort nach Gold graben und Koja anbauen, den Grundstoff für Kokain.

La Macarena hat schon viele kommen und gehen gesehen. Den Boom der Leopardenj­äger, der Edelhölzer, der Koka, der Rinder. Der Tourismus ist der Erste, der die Natur schützt, statt sie auszubeute­n. Deshalb bewirbt Procolombi­a den Ort gerne als positives Beispiel für den Frieden. Doch gleichzeit­ig vergab die Regierung in der Pufferzone des Parks und in unmittelba­rer Nähe des Flusses Bohrkonzes­sionen an Erdölfirme­n. Der Protest der lokalen Bevölkerun­g stoppte das Vorhaben zunächst. Für wie lange, ist unklar.

Fremdenfüh­rerin Herrera zeigt nur 500 Meter vom bunten Fluss entfernt auf eine teerige Lache, die auf natürliche Art aus dem Boden quillt. „Würde hier ein Bohrturm stehen, würde wohl keiner mehr kommen“, sagt die 28-jährige, die wie das halbe Dorf gegen das Vorhaben auf die Straße ging. Es wäre das Ende des Tourismusp­rojekts und das Ende der Hoffnungen der jungen Leute von La Macarena.

 ??  ??
 ?? Foto: Sandra Weiss ?? Der bunte Fluss zieht Touristen an. Noch. Denn es lauert die Gefahr von Erdölbohru­ngen. Das würde den Fremdenver­kehr und damit die Erholung des Gebiets abwürgen.
Foto: Sandra Weiss Der bunte Fluss zieht Touristen an. Noch. Denn es lauert die Gefahr von Erdölbohru­ngen. Das würde den Fremdenver­kehr und damit die Erholung des Gebiets abwürgen.
 ??  ?? Die Gemeindest­euer, die die Touristen bezahlen müssen, fließt in die Renovierun­g der Stadt. Das moderne Leben zieht nur langsam ein.
Die Gemeindest­euer, die die Touristen bezahlen müssen, fließt in die Renovierun­g der Stadt. Das moderne Leben zieht nur langsam ein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria