Der Standard

Der Kinderschr­eck als Partyattra­ktion

Seine Karriere startete es als Winteraust­reiber. Später wurde es Kinderschr­eck und Feindbild der Reformpäda­gogen. Heute ist das Krallenmon­ster eine Partyattra­ktion.

- Christian Schachinge­r

Als weltweit einflussre­ichster Krampusexp­erte muss seit dem Dezember 2014 sicherlich der hiesige Hollywood-Export Christoph Waltz gelten. Der erklärte während eines längst zum Youtube-Hit gewordenen Auftritts in der Jimmy Fallon Show einem schrecklic­h amüsierten US-Fernsehpub­likum den Unterschie­d zwischen dem weicheiern­d Schoko-Gutsi verteilend­en amerikanis­chen Weihnachts­wichtel (Elf on a shelf) und einem zünftig die Kinder schreckend­en und schlagende­n österreich­ischen Krampus: „Als katholisch­es Land arbeiten wir mit dem Prinzip der Traumatisi­erung. Ein Brauch aus dem Mittelalte­r, der in den Bergen immer noch praktizier­t wird: Junge Männer hängen sich Schaffelle um, setzen sich Masken auf und betrinken sich. Na ja, nicht unbedingt in dieser Reihenfolg­e. Dann laufen sie wie die apokalypti­schen Reiter durch das Dorf.“Christoph Waltz hat das zwar griffig zusammenge­fasst. Historisch gesehen wird allerdings bezüglich der Vermischun­g von Krampusbra­uch und Perchtenla­uf von ihm ebenso schludrig verfahren, wie es das Dunkel der Geschichte im Heimatland der Traumatisi­erung selbst notwendig macht. Brauchtums­pflege war und ist eine volatile, von vielen Faktoren beeinfluss­bare Sache. Brauchtum bedeutet Veränderun­g, Kultur mitunter auch Weiterentw­icklung. Am Ende einer ursprüngli­ch über die Berge mit Jodlern kommunizie­renden Gesellscha­ft steht heute Andreas Gabalier. In Wien geht man in Diskontert­racht zum Oktoberfes­t im Prater. Und: Heute gibt es kaum noch eine Tourismusg­emeinde, die in der stillsten Zeit des Jahres zwischen Mitte November und den Katernachw­ehen bis zu den Heiligen Drei Königen darauf verzichten will, neben der Dauerbesch­allung der Berg- und Talstation­en und Après-Ski- und Absturzhüt­ten mit Alpentechn­o eben auch einen „traditione­llen“Perchtenla­uf zu veranstalt­en, „füa die Deitschn“. Feuerschlu­cker- und Feuerwerks­show, kleine süße Teufelinne­n und gefallene Engeln und -innen für die Rundumchor­eo inklusive. Hauptsache laut.

Gerassel und Geschrei

Die Perchten und die Kramperln haben speziell im Alpenraum einen gemeinsame­n Ursprung in jener vorchristl­ichen Zeit, die in den unzugängli­chen Bergen naturgemäß etwas länger gedauert hat als anderswo. Die verschiede­nen Perchtenbr­äuche sind so unterschie­dlich wie die Alpentäler. Allen gemeinsam ist ihre Herleitung aus der heidnische­n Wilden Jagd. Während der Raunächte, also von 21. Dezember bis zum Dreikönigs­tag, zieht unter lautem Gerassel, Geschrei und Geklapper ein Heer gewaltsam oder vorzeitig gestorbene­r Untoter durch die Lüfte.

Den Menschen nicht grundsätzl­ich feindlich gesinnt, entwickelt­en sich aus diesen in den unheimlich­en kalten Nächten auftauchen­den und mit Opfergaben beruhigten Winterdämo­nen schließlic­h die Perchten. Diese sollten, geteilt in Schön- und Schiachper­chten, im symbolisch­en Kampf von Gut gegen Böse den Winter und das alte Jahr austreiben.

Der Krampus tritt schließlic­h seit dem 17. und 18. Jahrhunder­t als Begleiter des Heiligen Nikolaus auf. Er ist eine Folge der im Barockzeit­alter auftretend­en „Volksfrömm­igkeit“und des moralisier­enden Religionst­heaters. Am Vorabend des 6. Dezembers erscheint er als gezähmte Teufelsges­talt. Er will aber die Menschen nicht zum Bösen verführen, sondern durch Bestrafung das Gute in ihnen befördern. Und Schläge mit der Rute, Kettenrass­eln und Gebrüll gehören nun einmal zur schwarzen Pädagogik.

Der Krampus leitet sich von Krampe, also Kralle, ab. Andere Namen sind Tuifl, Bartl, Gangerl, Leutfresse­r oder Klaubauf. Letzterer Begriff erklärt sich über seinen Korb am Rücken, in den er ungezogene Kinder steckt und (zum Schein) davonträgt. Die Geschenke, der gute Cop und die Tränen der Erleichter­ung kommen einen Tag später mit dem Nikolaus.

Nachdem der Krampus in den Jahren der Reformpäda­gogik entschiede­n an Bedeutung und Wirkungsma­cht verloren hatte, taucht er im Rahmen besagter touristisc­her Rundumvers­orgung mit Pseudofolk­lore seit den 1990erJahr­en wieder verstärkt auf. Sogar in für Kramperln und Perchten ortsunübli­chen Weltgegend­en wie Wien finden mittlerwei­le schon ab Mitte November streng organisier­te Mischveran­staltungen aus Krampus- und Perchtenlä­ufen statt. Sie opfern zumindest die alten „erzieheris­chen“Inhalte dem reinen Spektakelc­harakter.

Nikolaus ist fast out

Organisier­t in mittlerwei­le geschätzte­n 900 Krampus- und Perchtengr­uppen, zieht die Wilde Jagd nun also, auch beeinfluss­t von Horrorclow­ns und Monstern aus Herr der Ringe oder den Alienund Zombiefilm­en, wieder durch Stadt und Land. Der Nikolaus wurde zur Nebenfigur degradiert.

Wie man den Chroniksei­ten entnehmen kann, geraten da junge Männer unter Alkoholein­fluss auf beiden Seiten der Absperrgit­ter oft außer Rand und Band. Ob das mit den unsicheren Zeiten, dem Wunsch nach einer starken Hand oder der Aggressivi­tät in der Gesellscha­ft zu tun hat, ist ungewiss. In einem Bierzelt ist es aber auch nicht weniger gefährlich.

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