Missbrauchsverdacht: Ski-Heimleiter blieb noch jahrelang Lehrer
Trennung in Tirol, dann nach Vorarlberg Betroffene der Causa Seisenbacher sprechen
Innsbruck/Bregenz/Wien – Jener Heimleiter der seinerzeitigen Skihauptschule (heute Skimittelschule) Neustift im Stubaital, der von mehreren ehemaligen Schülern des sexuellen Missbrauchs geziehen wird, war nach seinem Verschwinden aus Tirol Ende der 1970er-Jahre offensichtlich noch viele weitere Jahre in Vorarlberg als Pädagoge tätig. Der STANDARD erreichte Herrn P. telefonisch. Der Mann, der durch einen Sportmonolog der Ex-Rennläuferin Nicola Werdenigg über Missbrauch im Skisport in den Fokus geriet und auch durch die Angaben der Mutter eines inzwischen an einer Überdosis gestorbenen Ex-Zöglings schwer belastet wird, ist mehr als verwundert über die Vorwürfe: „Das sind alles Vorverurteilungen.“Auf die Frage, ob er sich Schülern sexuell genähert habe, sagte P: „Dazu sage ich nichts.“Auch über seine weitere pädagogische Karriere wollte er sich nicht verbreitern.
Wie diese nach der offenbar vollzogenen Trennung von der Skihauptschule Neustift möglich wurde, ist nach Auskunft des Bildungsministeriums ebenso „Bestandteil der aktuellen Ermittlungen“wie die Frage, wie man schon damals Missstände hätte erkennen können. Das Ministerium hatte übrigens bisher keinen Einblick, welche Pflichtschullehrerinnen und Lehrer in welchem Bundesland unterrichten, sagte Sprecherin Patrizia Pappacena dem STANDARD.
Zu den den Judo-Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher betreffenden, von der Staatsanwaltschaft Wien angeklagten Missbrauchsfällen haben sich zwei von Werdeniggs Schritt ermutigte Betroffene via Interview mit der Austria Presse Agentur an die Öffentlichkeit gewandt. Die beiden Frauen richten schwere Vorwürfe gegen den österreichischen Judoverband (ÖJV). Der habe „reflexartig abgewehrt, sich selbst geschützt, so nach dem Motto: Es möge bitte nicht stimmen, dann haben wir als Verband kein Problem, mit dem wir uns womöglich beschäftigen oder gar Konsequenzen ziehen müssten.“Am Montag hat sich der ÖJV in Person von Präsident Hans Paul Kutschera „für etwaige Vorfälle und bei möglichen Opfern“entschuldigt.
Nicola Werdenigg wird heute beim Landeskriminalamt Tirol aussagen. Über den Umgang mit ihr und der Causa insgesamt ist ein in den Oberösterreichischen Nachrichten dokumentierter Disput zwischen Skisprungolympiasieger Anton Innauer und dem von ihm heftig kritisierten Skiverbandspräsidenten Peter Schröcksnadel entbrannt. Der ÖSV-Chef nennt Innauer einen „Opportunisten und Pharisäer“. (red)
Wien – Die durch den STANDARDSportmonolog der Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg ausgelöste Debatte um Missbrauch dürfte auch zwei Betroffene in der Causa Peter Seisenbacher bewogen haben, sich zu Wort zu melden. Laut rechtskräftiger Anklage wurden sie von ihrem Trainer, dem Judo-Doppelolympiasieger, als unmündige Mädchen schwer sexuell missbraucht. Sie fordern im Gespräch mit der Austria Presse Agentur (siehe „Zitiert“rechts), dass sich bei Übergriffen auf Nachwuchssportler die betroffenen Verbände dem Thema stellen.
„Totschweigen und Aussitzen hilft niemandem“, sagten die Betroffenen. Das sei in ihrem Fall jedoch die Devise des österreichischen Judoverbands gewesen. Die Art, wie dort auf die Vorwürfe gegen Seisenbacher reagiert worden sei, hätten sie als „offensiv verharmlosend“und „aggressiv abwertend“erlebt.
„Wir hoffen, dass sich die Vorwürfe gegen das österreichische Aushängeschild im Judosport in Sachen Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs nicht bewahrheiten“, wurde Verbandspräsident Hans Paul Kutschera in einer Aussendung zitiert. Die Betroffenen hatten dies als „reflexhafte Abwehr“empfunden.
Am Montag entschuldigte sich Kutschera in einer weiteren Aussendung im Namen des Verbands für „etwaige Vorfälle und bei möglichen Opfern. Wir sehen diese Entschuldigung gleichzeitig als Verantwortung, weitere Maßnahmen zu setzen, um solchen Vorkommnissen in Zukunft keinen Raum zu lassen.“
Seisenbacher hält sich inzwischen weiter in der Ukraine auf. Zuletzt hat der 57-Jährige erneut Rechtsmittel gegen einen Bescheid der Migrationsbehörde eingelegt, die ihn wegen Verstößen gegen das ukrainische Fremdenrecht zum Verlassen des Landes bis 12. Oktober aufgefordert hatte. Seisenbachers Auslieferung nach Österreich war zuvor wegen Verjährung der ihm von der Staatsanwaltschaft Wien vorgeworfenen Sexualdelikte mit Minderjährigen abgelehnt worden. (red)