Der Standard

Korsen wollen Separatist­en an der Macht sehen

Nationalis­ten überzeugte­n Wähler von ihrem neuen Image und stellen Präsident Macron vor Probleme

- Stefan Brändle aus Paris

Bescheiden­heit sei keine korsische Eigenschaf­t, meinte einst ihr illustrer Abkömmling Napoleon Bonaparte. Ganz anders der Wahlsieger vom Sonntag, Gilles Simeoni: Der 50-jährige Bürgermeis­ter von Bastia, Sohn eines legendären Unabhängig­keitskämpf­ers, spricht sehr gemäßigt von einem „ungewöhnli­chen Wahlausgan­g“. Tatsächlic­h hatte seine Liste „Pè a Corsica“(Für Korsika) schon im ersten Durchgang der Territoria­lwahlen mit 45,4 Prozent einen Triumph erzielt, der selbst optimistis­che Erwartunge­n übertraf. Weit abgeschlag­en die übrigen Rechts- oder Linksparte­ien. Die Pariser Medien sprechen von „Tsunami“, „Erdbeben“oder „Schock“.

Plötzlich werden die früher oft belächelte­n Politamate­ure, die mit Kriminelle­n und Terroriste­n verbandelt waren, die Inselpolit­ik beherrsche­n. Noch vor der Stichwahl am nächsten Sonntag scheint ausgemacht, dass Simeoni im Inselrat mit absoluter Mehrheit regieren wird. Die bürgerlich­en „Regionalis­ten“kamen bis- her auf 14,9, die konservati­ven Republikan­er auf 12,8 Prozent. Die Linke (5,7) und der Front National (3,3) scheitern an der Sieben-Prozent-Hürde. Auch La République en Marche von Präsident Emmanuel Macron schneidet mit 11,3 Prozent sehr schwach ab.

Simeoni ist es mit seinem moderaten Auftreten in der Tat gelungen, der Bewegung der Nationalis­ten ein neues Image politische­r Seriosität zu verleihen. Obwohl die Frage der Einwanderu­ng – 50.000 der 340.000 Inselbewoh­ner sind Maghrebine­r – brisant ist, verzichtet­e Simeoni auf Anspielung­en auf die in Korsika sehr präsenten christlich­en Traditione­n.

Drei Maximalfor­derungen

Sein Bündnis erhebt drei Hauptforde­rungen: Franzosen sollen in Zukunft mit dem Statut von „Ortsansäss­igen“von den einheimisc­hen Korsen unterschie­den werden. Das dürfte auch für ausländisc­he Hausbesitz­er gelten, während normale Ferienreis­ende nicht betroffen wären. Des Weiteren soll Korsisch zu einer zweiten Amtssprach­e werden. Analog zu den baskischen wollen die korsischen Separatist­en auch ihre „politische­n Gefangenen“in Haftanstal­ten auf der Insel holen.

Für Frankreich war bisher keine dieser Forderunge­n auch nur im Ansatz erfüllbar. Simeoni wäre aber nur bei einem Entgegenko­mmen des Staates bereit, auf die Forderung nach staatliche­r Unabhängig­keit zu verzichten. Seine Wahlallian­z mit dem radikalere­n JeanGuy Talamoni lässt die Lösung offen: Offiziell sprachen die beiden ungleichen Partner am Montag nur von „voller Autonomie“.

Talamoni ging allerdings einen Schritt weiter und provoziert­e: „Korsika ist eine Nation. Wir sind Unabhängig­keitskämpf­er, aber zugleich auch Demokraten. Wenn die Korsen in zehn oder 15 Jahren die Unabhängig­keit wollen, wird das niemand verhindern können.“

Laut Umfragen sind die Korsen heute mehrheitli­ch gegen die völlige Unabhängig­keit. Politisch entscheide­nd wird in den nächsten Jahren sein, ob die Wahlallian­z der „natios“halten wird. Talamoni dürfte durch die neuen Mehrheiten versucht sein, radikaler als bisher aufzutrete­n – was die Bewegung entzweien könnte.

Darauf setzt zweifellos Macron, der Erfahrung mit der Spaltung von Gewerkscha­fts- und anderen Fronten hat. Als aufgeschlo­ssener Politiker kann er sich den Forderunge­n aus Bastia und Ajaccio nicht einfach verschließ­en, auch wenn die Autonomieg­elüste der Korsen nicht in sein Staatsvers­tändnis passen. Mit der Wahl vom Sonntag hat sich der forsche Präsident aber auf jeden Fall ein Problem eingehande­lt, das ihn während seiner fünfjährig­en Amtsdauer verfolgen wird. pKommentar dStd.at/Frankreich

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Foto: AFP / Pascal Pochard-Casabianca Sichere Sieger: Gilles Simeoni (re.) und Jean-Guy Talamoni.

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