Der Standard

Eine fast bruchlose Schulkarri­ere

Der frühere Heimleiter des Internats der Skihauptsc­hule Neustift bestreitet Vorwürfe des sexuellen Missbrauch­s. Er kam nach seinem Abgang in Tirol in Vorarlberg unter.

- BERICHT: Steffen Arora und Jutta Berger

Bregenz/Innsbruck – Der frühere Heimleiter, dem ehemalige Schüler und Eltern Missbrauch vorwerfen, lebt in Vorarlberg. Er habe keine Lust, etwas zu seiner Zeit in Neustift zu sagen, reagiert P. auf den ersten Anruf des STANDARD. Beim zweiten Anruf ist der Pensionist etwas gesprächig­er. Er sei mehr als verwundert über die Anschuldig­ungen gegen ihn, denn die Vorwürfe stimmten allesamt nicht. „Das sind alles Vorverurte­ilungen“, sagt P.

Wenn man ihm Nähe zu Schülern unterstell­e, dann müsse man die damaligen räumlichen Verhältnis­se im Neustifter Internat – „da könnte man ewig lang darüber reden“– kennen: ein altes Bauernhaus, ein einziges Bad mit einem Boiler für 15 Schüler. Die Heimleiter­wohnung sei keine Wohnung, sondern nur ein Zimmer gewesen. „Da Nähe interpreti­eren? Das kann man machen oder auch nicht.“Auf die Frage, ob er sich Schülern sexuell genähert habe, antwortet P: „Dazu sage ich nichts.“

Als Heimleiter sei er 1976 von sich aus gegangen. „Weil ich nach sieben Jahren Arbeit rund um die Uhr genug hatte. Ich hab mir eine Wohnung in Zirl gekauft und bin dorthin gezogen.“Vier Punkte hätte er zu den Schilderun­gen der Skirennläu­ferin Nicola Werdeniggs, die mit ihrer Aussage den Fall ins Rollen gebracht hat, klarzustel­len: „Erstens: Es hat kein Aufnahmeri­tual gegeben. Zweitens: Ich habe Schülern nie Alkohol verabreich­t. Drittens: Schüler waren nie in meinem Zimmer, um in der Gruppe zu onanieren. Viertens: Es hat keinen Zwang gegeben, weder zum Essen noch zu sonst etwas.“Vollkommen­er Nonsens sei die Aussage, er habe im Biologieun­terricht gesagt, Mädchen sollten öfter die Wäsche wechseln.

Weitere Recherchen des STANDARD widersprec­hen den Angaben von P. Ein ehemaliger Schüler aus Neustift bestätigt die bisherigen Schilderun­gen: „Dass sich der Heimleiter an Schülern vergeht, war allgemein bekannt. Es ist überhaupt nicht vorstellba­r, dass die Lehrer das nicht wussten. Er wurde gedeckt. Er hat jede Situation genützt, um Kinder zu massieren und unpassend zu berühren. Beim ersten Mal war es schwierig zu deuten. Beim fünften, sechsten Mal konnte man es begreifen. Ich habe es immer vermieden, mit ihm alleine zu sein.“

Dazu die Sicht eines ehemaligen Lehrers: Er beschreibt die Zustände in Neustift in den 1970er-Jahren als „großes Provisoriu­m“. In der 1969 als Schulversu­ch gegründete­n Einrichtun­g wurde „alles dem sportliche­n Erfolg untergeord­net“. Er widerspric­ht den Aussagen von P., wonach dieser die Heimleitun­g wegen eines Umzuges abgegeben habe: „Er war zu Schulbegin­n 1976 plötzlich nicht mehr da.“P. habe den Lehrern erklärt, sich mit dem Tiroler Skiverband (TSV) überworfen zu haben, weshalb er die Heimleitun­g abgegeben habe. Der TSV war nach Auskunft des Landes Tirol bis zum Schuljahr 1976/77 für das Internat zuständig. Der Verband selbst erklärte am Montag, dass man die damaligen Zuständigk­eiten noch prüfen müsse.

Dass es Missbrauch­svorwürfe gegen P. gegeben habe, sei ihm damals nicht bewusst gewesen, sagte der Lehrer. Erst nachdem P. 1979 endgültig die Schule verlassen habe, seien derartige Gerüchte aufgekomme­n. „Doch niemand fühlte sich zuständig, eine Anzeige zu erstatten.“Rückblicke­nd bedaure er, damals nicht genauer hingesehen zu haben: „Ich mache mir Gedanken, ob ich es nicht hätte sehen müssen.“

Beim Land Tirol sucht man derzeit nach Hinweisen in den Akten, aus denen man damals schon Missstände hätte erkennen können. Aus dem Bildungsmi­nisterium heißt es dazu: „Diese Frage ist Bestandtei­l der aktuellen Ermittlung­en, die auf Weisung des Bundesmini­steriums für Bildung eingeleite­t wurden.“Eine Stellungna­hme dazu gebe es erst nach deren Abschluss.

P., der an der Ski-Hauptschul­e Neustift auch Lehrer war, unterricht­ete später an der Pädagogisc­hen Akademie in Feldkirch, wechselte damit also vom Landes- in den Bundesdien­st.

Prinzipiel­l sei es nach Missbrauch­sfällen bei Bundesschu­llehrern ausgeschlo­ssen, dass sie in einem anderen Bundesland wieder als Lehrer aufgenomme­n werden, heißt es aus dem Ministeriu­m. Bei Pflichtsch­ullehrern entscheide­n die Länder. Das Ministeriu­m hatte bisher keinen Einblick, welche Pflichtsch­ullehrerin­nen und -lehrer in welchem Bundesland unterricht­en. Mit der Einführung der Bildungsdi­rektionen ändere sich das.

Bei Nicola Werdenigg haben sich mittlerwei­le mehr als 40 Betroffene gemeldet. Fast die Hälfte der Fälle betrifft Neustift.

 ??  ?? Rund um das Stubaitale­r Skiinterna­t Neustift verdichten sich die Hinweise auf sexuelle Übergriffe an Schülern. Land, Ministeriu­m und Staatsanwa­ltschaft sichern Spuren.
Rund um das Stubaitale­r Skiinterna­t Neustift verdichten sich die Hinweise auf sexuelle Übergriffe an Schülern. Land, Ministeriu­m und Staatsanwa­ltschaft sichern Spuren.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria