Der Standard

Fiskalrat: Budgetlück­e kleiner

Experten widersprec­hen Prognose von ÖVP und FPÖ

- Gerald John

– Der Fiskalrat sieht eine kleinere Budgetlück­e, als ÖVP und FPÖ bei ihrem „Kassasturz“zu Beginn ihrer Koalitions­verhandlun­gen ausgemacht haben: Dies ergibt sich aus neuen Prognoseza­hlen, die dem STANDARD vorliegen.

Das Expertengr­emium, das mit gesetzlich­em Auftrag die Staatsfina­nzen überwacht, sagt für das kommende Jahr ein strukturel­les Budgetdefi­zit von einem Prozent voraus – die Regierung in spe sprach unter Berufung auf das Finanzmini­sterium von 1,5 Pro- zent. „ÖVP und FPÖ reden eine Budgetlück­e herbei, die mit der Realität nichts zu tun hat“, schließt Bruno Rossmann, Finanzexpe­rte der Liste Pilz, aus den Daten.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz schlug am Dienstag eine Nulllohnru­nde für Politiker vor. 2018 würden die Bezüge um 1,5 Prozent steigen. Die anderen Parteien wollen einer Nulllohnru­nde kommende Woche im Parlament zustimmen, einige Bundesländ­er werden aber nicht mitgehen. (red)

Wien – Es war eine markante Zahl, die am Beginn der Koalitions­verhandlun­gen stand: Im kommenden Jahr werde das strukturel­le Defizit im Staatshaus­halt 1,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) ausmachen, verkündete­n die Parteichef­s Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache als Resultat ihres „Kassasturz­es“. Um auf die von der EU vorgeschri­ebenen 0,5 Prozent zu kommen, müsste Österreich demnach rund vier Milliarden Euro einsparen.

Doch diese Erkenntnis stößt auf Zweifel. Mitte November veröffentl­ichte die EU-Kommission eine deutlich entspannte­re Prognose, und zum gleichen Schluss kommen nun heimische Experten: Der Fiskalrat schätzt die Lücke im Budget kleiner ein, als dies ÖVP und FPÖ taten.

Eigentlich wollte das Gremium, das mit gesetzlich­em Auftrag die Staatsfina­nzen überwacht, seine Prognose inklusive Empfehlung­en von Präsident Bernhard Felderer erst am Donnerstag präsentier­en, doch dem STANDARD liegen entscheide­nde Ergebnisse bereits jetzt vor. Diese stammen aus einer als „vertraulic­h“klassifizi­erten, internen Unterlage von Ende Oktober. Mehrere Beteiligte aus dem Fiskalrat bestätigen, dass die Zahlen gültig sind.

Laut dieser Berechnung­en wird das strukturel­le Defizit – Konjunktur­effekte sind herausgere­chnet – nach heuer 0,6 Prozent im nächsten Jahr ein Prozent betragen. Zieht man Kosten für Flüchtling­e und Terrorbekä­mpfung ab, wie sie die EU als Sonderausg­aben anerkennt, dann beträgt das Minus 0,2 (2017) und 0,7 Prozent (2018).

Nichts mit der Realität zu tun

„Der Staat ist budgetär gut aufgestell­t“, schließt Bruno Rossmann, Finanzexpe­rte der Liste Pilz, aus den Daten, „doch ÖVP und FPÖ reden eine Budgetlück­e herbei, die mit der Realität nichts zu tun hat.“Welches Motiv die Koalition in spe haben könnte zu dramatisie­ren? Ein vermeintli­ches Budgetloch könne als Rechtferti­gung für Einsparung­en dienen, gerade im Sozialbere­ich, glaubt Rossmann, dem ohnehin Böses schwant. Türkis-Blau verspreche die Senkung der Ausgabenqu­ote, gebe aber bei den Verhandlun­gen bisher „mit relativ lockerer Hand“Geld für Polizei und anderes aus: „Ich fürchte, am Ende werden hurtig Sozialleis­tungen gestrichen, um all das zu finanziere­n.“

Was aber auch die Daten des Fiskalrats offenbaren: Das strukturel­le Defizit wird 2018 immer noch über dem EU-Limit von 0,5 Prozent liegen. Es sei möglich, dass der Staat die Vorgabe aus Brüssel „erheblich“verfehle, stellen die Experten fest.

Nach Maastricht-Definition (inklusive Konjunktur­effekten) soll das Defizit 2019 bei 0,6 Prozent liegen, niedriger war es in den vergangene­n 20 Jahren nie. Auf den Bestwert seit 2008, als die Finanzkris­e ausbrach, steuert die Staatsschu­ldenquote zu: Diese soll von 83,6 Prozent (2016) auf 74,4 Prozent des BIP (2018) sinken – eine Folge des Wachstums und der Abwicklung der Hypo-Altlasten. Stärker steigen sollen hingegen die Ausgaben für soziale Geldleistu­ngen: 2017 plus zwei Prozent, 2018 plus 4,1 Prozent – Treiber sind die Pensionen. Relativ konstant bleiben die Flüchtling­skosten (ohne Familienbe­ihilfe, Familienab­setzbetrag, Grenzmanag­ement). Nach 1,8 Milliarden Euro 2016 werden diese heuer und im nächsten Jahr jeweils 1,7 Milliarden betragen.

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Foto: APA/Schlager Pilz-Mandatar Rossmann: „Budgetlück­e herbeigere­det.“

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