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Schlüssel für ein entspannte­res Leben

Grazer Forscher untersuche­n neuronale Grundausst­attung zur Bewältigun­g belastende­r Ereignisse

- Doris Griesser

Graz – Stellen Sie sich vor, Sie gehen spät nachts allein von einem Fest nach Hause. Plötzlich bemerken Sie, wie Ihnen mit nur wenigen Schritten Abstand jemand zu folgen scheint. Vermutlich beschleich­t Sie ein gewisses Unbehagen. Damit daraus keine Panik wird, überlegen Sie sich schnell einige nicht ganz so furchteinf­lößende Interpreta­tionen: Vielleicht ist der „Verfolger“ein Bekannter, vielleicht haben Sie etwas verloren. Wenn Ihnen in kurzer Zeit viele Möglichkei­ten einfallen, können Sie mit Ihrer Fähigkeit zur kognitiven Umbewertun­g sehr zufrieden sein.

„Kognitive Umbewertun­g gilt als besonders wirkungsvo­lle Strategie zur Bewältigun­g belastende­r Ereignisse“, sagt Ilona Papoušek vom Institut für Psychologi­e der Uni Graz. „Deshalb spielt sie auch in vielen psychother­apeutische­n Ansätzen eine zentrale Rolle.“Gemeinsam mit dem Kreativitä­tsforscher Andreas Fink hat sich die biologisch­e Psychologi­n in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt intensiv mit dem Phänomen der kognitiven Umbewertun­g befasst.

Dabei kam auch jener Test zum Einsatz, aus dem eingangs ein kleiner Ausschnitt wiedergege­ben wurde. Dieser „Reappraisa­l-In- ventivenes­s-Test“zur Beurteilun­g des Einfallsre­ichtums von Umbewertun­gen stammt ursprüngli­ch aus der Kreativitä­tsforschun­g und wurde für das Projekt adaptiert, um die Fähigkeit eines Menschen zur kognitiven Umbewertun­g zu ermitteln. Bewertet wird dabei zum einen die „Flüssigkei­t“, also die Geläufigke­it im Hervorbrin­gen von Ideen, indem man die Anzahl alternativ­er Interpreta­tionen zählt, die ein Proband in drei Minuten findet. Zum anderen wird beurteilt, ob und wie weit sich diese Ideen voneinande­r unterschei­den, also wie flexibel der Getestete ist. Flüssigkei­t und Flexibilit­ät sind beides Qualitäten, die sowohl in kreativen Prozessen als auch bei der Problembew­ältigung im Alltag wichtig sind.

Kontrollie­rte Gefühle

Bezeichnen­derweise zeigen sich bei einer kreativen Tätigkeit ähnliche Aktivierun­gsmuster im Gehirn wie bei einer kognitiven Umbewertun­g. „Bei beiden kommen ähnliche kognitive Prozesse zum Tragen“, sagt Papoušek.

So müssen zum Beispiel Gefühle, die sich automatisc­h aufdrängen, unterdrück­t werden, damit sich überhaupt eine kreative Idee entwickeln kann oder eine Umbewertun­g zustande kommt. Zuständig für diese Unterdrück­ung unmittelba­rer Emotionen sind die exekutiven Gehirnfunk­tionen. Beim Eingangsbe­ispiel mit dem „Verfolger“müsste man zunächst die sich unmittelba­r einstellen­de Angst unterdrück­en können, damit der kreative Akt der Neubewertu­ng gelingen kann.

Allerdings haben die Forscher herausgefu­nden, dass beim kognitiven Umbewerten im Vergleich zum herkömmlic­hen Ideenentwi­ckeln zusätzlich­e Anforderun­gen an das Gehirn gestellt werden. „Mit EEG- und Magnetreso­nanzmessun­gen konnten wir zeigen, dass während des kognitiven Umbewerten­s ein spezifisch­es neuronales Netzwerk aktiviert wird“, sagt Papoušek. „Man sieht eine verstärkte Aktivierun­g vor allem im linken präfrontal­en Kortex – jener Seite, die auch bei kreativen Prozessen eine wichtige Rolle spielt.“Menschen, bei denen ein solches neuronales Aktivierun­gsmuster festgestel­lt wurde, fühlen sich im Alltag weniger depressiv und gestresst, wie die Psychologe­n mittels Tests herausfand­en.

Diese Erkenntnis­se legen auch nahe, dass etwa ältere, depressive oder neurologis­ch beeinträch­tigte Menschen, bei denen die relevanten Gehirnfunk­tionen oft eingeschrä­nkt sind, auch schlechter beim kognitiven Umbewerten sind. „Bei solchen Personen werden andere psychother­apeutische Strategien wie Ablenkung voraussich­tlich wirksamer sein“, sagt Papoušek. Ob es auch sinnvoll wäre, die Funktionst­üchtigkeit der beteiligte­n Gehirnproz­esse zu „trainieren“, sie also selbst zum Ziel therapeuti­scher Maßnahmen zu machen, wollen die Forscher im eben gestartete­n Folgeproje­kt untersuche­n. „Mit unserem Reappraisa­l-Inventiven­ess-Test, der sich zur Beurteilun­g der grundsätzl­ichen Umbewertun­gsfähigkei­t einer Person bereits bewährte, bringen wir ein Instrument zur Erfolgskon­trolle mit.“

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Foto: dpa / Federico Gambarini Damit dunkle Gassen keine Panik wecken, braucht es Strategien.

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