Der Standard

Wenn die Sonne zur Feindin wird

Wissenscha­fter haben einen potenziell­en Wirkstoff gegen die berüchtigt­e, seltene „Mondschein­erkrankung“gefunden. Dabei ist der Reparaturm­echanismus der Haut nach UV-Bestrahlun­g gestört.

- Kurt de Swaaf

– Die Nacht ist ihre Freundin. Mögen sich andere über blauen Himmel und wärmende Sonnenstra­hlen freuen – für diese Menschen sind sie eine tödliche Bedrohung. Man nennt die Betroffene­n deshalb auch „Mondschein­kinder“. Ihnen fehlt ein wichtiger Mechanismu­s zur Reparatur von DNA. Die Folgen sind verheerend. Das Erbgut einer Hautzelle nimmt oft schon bei geringen Mengen UV-Strahlung Schäden. Bei gesunden Personen werden diese Defekte schnellste­ns behoben, nicht jedoch bei den Mondschein­kindern. Und das führt leicht zu bösartigen Zellwucher­ungen. Mediziner bezeichnen die zugrundeli­egende Pathologie als Xeroderma pigmentosu­m, kurz XP. Viele der Patienten leiden bereits vor dem zehnten Lebensjahr unter Hautkrebs. Nur der absolute Entzug von Sonnenlich­t bietet wirksamen Schutz.

XP ist eine seltene Krankheit. „In Österreich gibt es derzeit nur eine Handvoll Fälle“, erläutert die Molekularb­iologin Joanna Loizou. Weltweit wird die Inzidenz auf etwa eine Erkrankung pro eine Million Personen geschätzt, mit regional zum Teil erhebliche­n Unterschie­den. In Japan soll sogar eines von 20.000 Babys mit XP zur Welt kommen. Die dennoch geringe Häufigkeit ist für die Betroffene­n allerdings ein Problem: Ihr Leiden interessie­rt Pharmaunte­rnehmen höchstens am Rande, denn die gezielte Entwicklun­g eines Medikament­s würde sich kaum rentieren. Abgesehen davon hat XP nicht bloß einen einzelnen Gendefekt als Ursache, wie Loizou betont. NER, der besagte Reparaturm­echanismus, besteht aus einer ganzen Batterie unterschie­dlicher Proteinkom­ponenten. Mindestens 15 davon können aufgrund rezessiv vererbbare­r Mutationen fehlerhaft sein. Ist nur eine kaputt, kommt der gesamte NER-Apparat zum Erliegen.

Neueste Studienerg­ebnisse von Joanna Loizou und einem Forscherte­am zeigen trotzdem einen möglichen Ausweg. Die am Research Center for Molecular Medicine (CeMM) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften tätige Expertin hat DNAReparat­uren in den Fokus ihrer Arbeit gestellt. UV-Licht führt zur Entstehung unerwünsch­ter Querverbin­dungen, sowohl innerhalb der Ketten wie auch zwischen ihnen, erklärt sie. Diese Verknüpfun­gen wirken toxisch. „Sie deformiere­n die DNADoppelh­elix.“Die Transkript­ion der Gene komme zum Erliegen, weil die ablesenden Enzyme nicht weiter an den Strängen entlanggle­iten können.

NER, so schien es bislang, ist als Einziges in der Lage, solche Kettenknot­en zu lösen. Aber es sind offenbar noch andere Beteilig- te im Spiel. Loizou und ihre Kollegen schufen eine spezielle Zelllinie mit defektem NER. Die Wissenscha­fter wollten testen, ob bereits bekannte Wirkstoffe die Folgen der Genschäden irgendwie lindern könnten. Eine mögliche Zweitnutzu­ng, sozusagen. Dieser Ansatz hat unter Forschern in den vergangene­n Jahren an Popularitä­t gewonnen – modernen Screeningv­erfahren für Zellkultur­en sei Dank. Warum etwas neu erfinden, wenn die Pharmazie schon ein Mittel parat hält? Das CeMM verfügt für solche Untersuchu­ngen bereits über eine eigene Datenbank mit rund 300 verschiede­nen repräsenta­tiven Substanzty­pen.

Man wurde tatsächlic­h fündig. Acetohexam­id, so zeigte sich im Labor, lässt NERdefizit­äre Zellen die UV-Bestrahlun­g überleben (vgl. Molecular Cell, Bd. 68, S. 797). Der Wirkstoff ist für Ärzte ein alter Bekannter. Sie verschreib­en ihn zur Behandlung von Diabetes Typ 2. Die Experten machten allerdings noch eine weitere Entdeckung: Der Schutzeffe­kt beruht auf einer Wechselwir­kung zwischen Acetohexam­id und dem mysteriöse­n Enzym MUTYH.

Rolle im wachstumsa­ktiven Gewebe

Letzteres greift ebenfalls bei DNA-Schäden ein. Es entfernt einzelne Basen und scheint vor allem in wachstumsa­ktivem Gewebe eine wichtige Rolle zu spielen. „In lebendigen Organismen verursacht der Verlust von MUTYH Darmkrebs“, berichtet Loizou. Doch in den „Mondschein­zellen“agiert das Enzym offensicht­lich negativ. Acetohexam­id wiederum hemmt den Untersuchu­ngen zufolge die MUTYH-Produktion. Die Zellen bleiben gesund.

Wie genau das Enzym seinen mitunter schädliche­n Einfluss entfaltet, ist noch ungeklärt. Aus molekularb­iologische­r Sicht ergibt sich aus der Studie eine Schlussfol­gerung: Wenn MUTYH ausgeschal­tet ist, sind auch Zellen mit defektem NER in der Lage, UV-Schäden zu beheben. Folglich muss ein weiterer, bisher unbekannte­r DNAReparat­urapparat einspringe­n. Ein indirekter Beweis, wie er im Buche steht. „Die große Frage nun lautet: Was ist dieser andere Mechanismu­s?“, sagt Loizou.

Für Mondschein­kinder könnte die neuentdeck­te Funktion des Acetohexam­id ein Hoffnungss­chimmer sein. Bevor man den Wirkstoff zur Behandlung von Patienten testet, sind gleichwohl noch einige Punkte zu klären. Schädliche Nebenwirku­ngen wie zum Beispiel die Entstehung von Darmtumore­n müssen verhindert werden. Idealerwei­se sollte das Acetohexam­id nur in bestimmten Geweben zum Einsatz kommen, meint Joanna Loizou. Man könnte es womöglich als Salbe auf die Haut auftragen.

 ??  ?? Bei „Mondschein­kindern“führt Sonnenlich­t oft schon im Kindesalte­r zu Hautkrebs. Hundertpro­zentigen Schutz bietet nur Dunkelheit.
Bei „Mondschein­kindern“führt Sonnenlich­t oft schon im Kindesalte­r zu Hautkrebs. Hundertpro­zentigen Schutz bietet nur Dunkelheit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria