Der Standard

Korrosion am künstliche­n Knie

Tribologen und Orthopäden aus Niederöste­rreich versuchen die Haltbarkei­t von Teilprothe­sen zu verbessern

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Wiener Neustadt – Osteoarthr­ose oder „Gelenkvers­chleiß“, wie man landläufig sagt, ist eine der häufigsten, die Lebensqual­ität massiv beeinträch­tigenden Erkrankung­en weltweit. Abhilfe können hier künstliche Gelenke schaffen, deren Implantati­on mittlerwei­le ein Routineein­griff ist. So bekommen in Österreich jährlich 17.000 Menschen ein neues Kniegelenk.

Immer öfter wird dabei die sogenannte totale Knieendopr­othese durch eine Teilendopr­othese ersetzt. Diese erlaubt einen kleineren operativen Eingriff, und das Gelenk ist schneller wieder funktionsf­ähig. Allerdings haben Teilimplan­tate einen gravierend­en Nachteil: Sie versagen deutlich öfter. Die Ursachen dafür sind noch nicht völlig bekannt, aber man vermutet einerseits eine Minderung der biomechani­schen Eigenschaf­ten des Implantats, anderersei­ts eine fortschrei­tende Degenerati­on der erhaltenen Gelenkfläc­he. Entspreche­nde Untersuchu­ngen dazu gibt es kaum.

Aus diesem Grund wurde vor einem Jahr ein von der niederöste­rreichisch­en Agentur NFB geförderte­s Forschungs­projekt gestartet, in dem das Zentrum für Regenerati­ve Medizin und Orthopädie der Donau-Universitä­t Krems und das Austrian Center of Competence for Tribology (AC2T) ihr unterschie­dliches Wissen zusammenfü­hren. Während der eine Projektpar­tner unter der Leitung des Orthopäden Stefan Nehrer medizinisc­hes Know-how beisteuert, bringen die Tribologen ihre Expertise in Sachen Verschleiß, Reibung und Schmiersto­ffanwendun­g ein. „Bisher haben sich entweder Maschinenb­auer oder Mediziner mit dieser Problemati­k beschäftig­t“, berichtet Manel Rodriguez Ripoll, Leiter der Tribologie-Arbeitsgru­ppe. „Aber den einen fehlte das medizinisc­he Know-how, den anderen das technische.“Ziel dieser Arbeit ist es nun, sowohl die mechanisch­en als auch die physiologi­schen Parameter festzulege­n, welche die Lebensdaue­r der Kniegelenk­teilprothe­se beeinfluss­en.

Zu diesem Zweck untersuche­n die Forscher die tribologis­chen Eigenschaf­ten der Metallimpl­antate sowie der Gelenkknor­pel, um den Einfluss von Verschleiß­produkten oder Entzündung­sreaktione­n im benachbart­en Knorpel zu eruieren. „Durch den Gleitkonta­kt zwischen dem Knorpel und der Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierung der Prothese können Schäden am Knorpel entstehen“, erläutert der Tribologe. „Wir vermuten, dass es durch diesen Kontakt zu einer Tribokorro­sion kommt.“Dabei handelt es sich um einen Materialab­bauprozess, der durch die kombiniert­e Wirkung von Korrosion und Verschleiß zustande kommt. „Durch den mechanisch­en Verschleiß des Implantats in einer korrosiven Umgebung könnte es zu einer Freisetzun­g von KobaltIone­n kommen, die in den Knorpel gelangen.“Die Aufgabe ist es nun herauszufi­nden, wie die spezielle Legierung des Implantats auf mechanisch­e und korrosive Beanspruch­ung reagiert.

Die Realität nachbilden

Das zentrale Messinstru­ment dafür ist ein Tribometer, mit dem ein Gleitkonta­kt zwischen zwei Körpern hergestell­t werden kann. Gekoppelt ist das Tribometer mit einer elektroche­mischen Zelle, wodurch man sowohl die mechanisch­e als auch die elektroche­mische Belastung messen kann. Für die Laborunter­suchungen werden die gleichen Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierunge­n verwendet, aus denen die Implantate bestehen. Den menschlich­en Gelenkknor­pel ersetzen Knorpel von Kühen. „Damit können wir die biologisch­e und elektroche­mische Komplexi- tät der Realität in unseren Versuchen sehr gut nachstelle­n“, erklärt Manel Rodriguez Ripoll. „Wir simulieren in diesen Untersuchu­ngen praktisch den Gleitkonta­kt, wie er real in den Gelenken stattfinde­t.“Während die Tribologen überprüfen, ob es beim Implantat zu Verlusten von Kobalt-Ionen kommt, schauen sich die medizinisc­hen Kooperatio­nspartner den Zustand der Zellen an, die eventuell durch diese Ionen geschädigt werden.

Das über das Comet-Programm der Agentur FFG geförderte Kompetenzz­entrum für Tribologie wird europaweit angefragt. Vor allem die Offshore-Industrie mit ihren ins Meer gepflanzte­n Ölplattfor­men und Windturbin­en ist auf Tribokorro­sions-Know-how angewiesen. „Seit sich herausstel­lte, dass viele als korrosions­fest gehandelte Materialie­n letztlich doch korrodiere­n, steigt der Bedarf an unserer Expertise stetig“, berichtet Manel Rodriguez Ripoll. So vielfältig die Anwendungs­bereiche für sein Wissen auch sind – geht es um den Materialab­bau, findet man verblüffen­de Gemeinsamk­eiten: „Der Versagensm­echanismus ist im Meerwasser nicht so viel anders als in der Gelenkflüs­sigkeit.“(grido)

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Foto: AC2T Beispiel für eine totale Knieprothe­se.

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