Der Standard

Die ideologisc­he Sprengkraf­t eines Weltreisen­den

Colin Ross war Familienva­ter, Reisejourn­alist und Nazi – die Linien zwischen den Berufungen beleuchtet eine neue Online-Ausstellun­g

- Katharina Kropshofer

Wien – Gandhi sei überhaupt nicht beeindruck­end und außerdem ziemlich hässlich. So beschrieb Colin Ross sein Zusammentr­effen mit dem indischen Widerstand­skämpfer und Pazifisten Mahatma Gandhi, als er ihn im März 1930 beim Salzmarsch gegen die britische Besatzung in Ahmedabad angetroffe­n hatte. „Das sagt aber wahrschein­lich mehr über Ross und seine Vorlieben für militärisc­he Führung aus als über Gandhi“, sagt Joachim Schätz, der für das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Gesellscha­ft am literarisc­hen und visuellen Erbe des Reisejourn­alisten Ross arbeitete.

Entstanden ist dabei die OnlineAuss­tellung „Mapping Colin Ross“, die nun, initiiert vom Wissenscha­ftsfonds FWF, als Kooperatio­n zwischen dem LudwigBolt­zmann-Institut und dem österreich­ischen Filmmuseum präsentier­t wurde. Es geht hier um die Frage, wie man mit Material umgehen soll, das zur Zeit des Nationalso­zialismus als Propaganda, aber auch als Berichters­tattung gedient hat. „Wir haben in ihm eine Art Schlüsself­igur gesehen, durch die gut sichtbar wird, wie Massenkult­ur mit all ihren ideologisc­hpolitisch­en Implikatio­nen zu die- ser Zeit funktionie­rt hat“, sagt Katalin Teller, die mit Schätz für das Projekt recherchie­rte.

Gleichzeit­ig ging es darum, einen Kontrast zu der üblichen Verwicklun­g von Ross zu schaffen: „Wer sich für Ross interessie­rt, soll auf einer guten Basis das Material konzipiert haben, ohne gleich auf rechtsextr­eme Seiten zu stoßen“, sagt Joachim Schätz. Analog zu Räumen in einem Museum kann man sich durch verschiede­ne Themenseit­en im Bereich „Mindmap“klicken oder Ross’ Reise anhand einer „Geomap“verfolgen. Filmfragme­nte, Artikel und andere Dokumente zeichnen dabei ein sehr diverses Bild der populären, jedoch umstritten­en Person.

Mit Kind und Kegel

Insgesamt 34 Jahre an Reisen, teilweis mit seiner Frau und seinen zwei Kindern, wurden dabei von verschiede­nen Medienhäus­ern wie dem Ullstein- oder Brockhaus-Verlag gesponsert. Auch wenn es dabei nie einen offizielle­n Staatsauft­rag gab, war sein politische­s Interesse kaum zu verbergen, erzählt Schätz: „Es hat ihn vermutlich sehr geschmeich­elt, als es auf seiner Amerikarei­se den Vorwurf gab, er wäre als NaziSpion unterwegs.“Erst 1933 posi- tionierte er sich eindeutig für den Nationalso­zialismus. Propagandi­stische Strategien findet man jedoch auch schon zuvor als maßgeblich­e Leitlinie in seiner Berichters­tattung.

Die Auswahl und Anordnung der besuchten Orte, klare Gegenübers­tellungen zwischen armen und reichen Bevölkerun­gsgruppen, das Interesse an deutschen Communitys im Ausland und die Verstärkun­g von Rassismen und Exotismen sind dabei nur einige Beispiele des ideologisc­h belasteten Materials. „Es wird ganz bewusst mit Kontrasten gespielt, besonders in der Aneinander­reihung von Orten: Er zeigt zum Beispiel zuerst Australien, wo es zu viel Platz gibt, und als Nächstes sehen wir dann schwimmend­e Städte im chinesisch­en Kanton, wo die Menschen wortwörtli­ch keinen Boden unter den Füßen haben“, sagt der Wissenscha­ftskoordin­ator Schätz.

Die ideologisc­he Sprengkraf­t verstärkt sich auch durch seine Rolle als belehrende­r Reiseführe­r, der die lokale Bevölkerun­g ethnografi­sch erfasst. Gleichzeit­ig wird er so auch zu einer populären Figur in vielen Kreisen. Durch das Zuschneide­n auf verschiede­ne Lesarten schaffte er es, eine ganze Reihe an Leuten anzusprech­en, und stellte selbst für die Linke noch lange Zeit eine Bezugspers­on dar. „Er hat das begrüßt, solange die Leute was von ihm sehen und kaufen wollten“, so Schätz.

Auch die absichtlic­h liebenswer­t gestaltete­n Familiensz­enen werden zu seiner Marke, sagt Katalin Teller: „Diese Familienre­isen laufen immer vor dem Hintergrun­d einer gutbürgerl­ichen Fa- milie ab, die sich auf Abenteuer einlässt.“Spätestens durch seinen Tod werden die eigentlich­en Intentione­n der Populärfig­ur jedoch klar: 1945 erschießt er sich und seine Frau in einer von NS-Sympathisa­nten bereitgest­ellten Villa am Walchensee – eine Woche bevor Hitler dasselbe tat. pwww. colinrossp­roject.net

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Die Familie hatte für Ross einen besonderen Stellenwer­t: einerseits als Stilmittel, anderersei­ts als Ideologie, um gutbürgerl­iches Reisen darzustell­en. Hier mit Frau Elisabeth und Sohn Ralph.

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