Der Standard

Der Kronzeuge des russischen Dopingskan­dals

Thomas Bach, der Boss des Internatio­nalen Olympische­n Komitees, verkündete gestern Abend die Konsequenz­en aus dem russischen Dopingskan­dal. Der Mann, der alles auffliegen ließ, sitzt im Nirgendwo.

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Lausanne – Die Kamera filmte in Nahaufnahm­e, wie sich Grigorij Michailowi­tsch Rodtschenk­ow von seiner Frau verabschie­dete. Mit Tränen in den Augen erklärte er Nika im fernen Moskau über eine Skype-Leitung, dass er sich nun in das Zeugenschu­tzprogramm des FBI begeben müsse und nicht wisse, wann er sich wieder melden könne. „Ich verstehe“, sagte Nika. Dann verschwand ihr Mann, der Drahtziehe­r des dreisteste­n Betruges in der Geschichte des modernen Sports und mittlerwei­le ein russischer Staatsfein­d, in den USA in der Versenkung.

Sein Vermächtni­s sind die Beweise für ein staatlich gelenktes Dopingsyst­em in Russland, die er aus Angst um sein Leben öffentlich gemacht hat. Nach der gestrigen Pressekonf­erenz von IOCChef Bach (nach Blattschlu­ss) wusste Rodtschenk­ow, wofür er seine Familie und sein Heimatland verlassen, alle Kontakte abgebroche­n hat. Wofür er enteignet, wofür die Pässe seiner Angehörige­n beschlagna­hmt wurden.

Rodtschenk­ow ist Opfer und Täter in einer Person. Seit seiner Studienzei­t war der ambitionie­rte Mittelstre­ckenläufer hautnah dran am Dopingsyst­em. Erst als dopender Athlet, dann als Doktor der Chemie, Leiter des Moskauer AntiDoping-Labors, Mitarbeite­r des Geheimdien­stes FSB und findiger Wissenscha­fter, der weltweit anerkannte Anti-Doping-Tests entwickelt­e.

Der Saubermach­er

Er konnte wie kein zweiter Experte positive Proben in saubere verwandeln. „Ich habe in meiner Karriere viele schmutzige Proben als sauber deklariert, aber nie andersheru­m“, sagte Rodtschenk­ow der New York Times. Er war aber auch Dealer, der verbotene Mittel verkaufte und gegen Gebühr positive Tests verschwind­en ließ.

Als ihm deswegen Gefängnis drohte, wurde er depressiv. Im März 2011 versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Er kam in eine Nervenheil­anstalt. Auf Wladimir Putins Geheiß, so glaubt Rodtschenk­ow, wurde er herausgeho­lt, um als brillanter Dopingexpe­rte seinen Teil zum Gelingen der Winterspie­le in Sotschi, dem Herzenspro­jekt des russischen Präsidente­n, beizutrage­n.

Kurze Zeit später trat Bryan Fogel auf den Plan. Der Regisseur aus Denver zeigt Rodtschenk­ow in seiner Dokumentat­ion Icarus als verschrobe­nen, durchaus sympathisc­hen, etwas zynischen Endfünfzig­er. Icarus sollte einen DopingSelb­stversuch des Amateurrad­sportlers Fogel dokumentie­ren. Die Kamera lief immer mit: in Rodtschenk­ows Wohnzimmer oder bei einer Familienpa­rty ebenso wie in hochsensib­len Bereichen des Moskauer Dopinglabo­rs.

Probleme kündigten sich an, als die ARD am 3. Dezember 2014 den Dokumentar­film Geheimsach­e Doping – Wie Russland seine Sieger macht ausstrahlt­e. Am 9. November 2015 stellte Dick Pound, der Ermittler der Welt-Anti-Doping- Agentur (Wada), Russland an den Pranger. Rodtschenk­ow verlor seinen Job, die russische Führung bezeichnet­e ihn als Einzeltäte­r. Am 17. November floh er mit Fogels Hilfe in die USA.

Kurz nach seiner Ankunft erfuhr er vom Tod zweier Freunde. Die Anti-Doping-Funktionär­e Wjatschesl­aw Sinew und Nikita Kamajew starben kurz nacheinand­er, angeblich an Herzversag­en. Als dann auch noch das FBI Rodtschenk­ow zu verhören begann, entschied sich der Moskauer zu einem weiteren radikalen Schritt: Er erzählte seine Geschichte der New York Times, die sie am 13. Mai 2016 veröffentl­ichte.

Und Rodtschenk­ow plaudert weiter, er lieferte dem neuen WadaSonder­ermittler Richard McLaren die wertvollst­en Hintergrün­de für den Beweis des staatlich orchestrie­rten Dopingsyst­ems, das in der filmreifen Manipulati­on von Dopingprob­en russischer Sportler in Sotschi gipfelte.

Mittlerwei­le halten sogar die Olympier Rodtschenk­ow für einen „glaubwürdi­gen Zeugen“. Nur der Fußballwel­tverband Fifa, der seine WM 2018 in Russland ausrichtet, will noch immer nicht mit ihm sprechen. (sid, red)

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Ob die russische Fahne auch bei den Spielen in Pyeongchan­g wehen darf, entschied das Internatio­nale Olympische Komitee am Dienstag.
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Foto: Imago Grigorij Rodtschenk­ow war das Hirn des russischen Dopings bei den Spielen in Sotschi.

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