Der Standard

Verewigen, was nicht mehr ewig ist

Fotograf Michel Comte gibt in Rom und Mailand erstmals Einblick in seine lange Faszinatio­n für Gletscher. Seit 30 Jahren dokumentie­rt er deren Schwinden: in Arbeiten, die ihre Bedrohung erfahrbar machen.

- Anne Katrin Feßler aus Rom

„Wir sind nahe des Kipppunkte­s, an dem die globale Erwärmung irreversib­el wird“, kommentier­te der britische Physiker Stephen Hawking im Juli US-Präsident Donald Trumps Aufkündige­n des Pariser Klimaabkom­mens. Sein Handeln, so Hawking, könnte der Erde Venusmomen­te bescheren – dort herrschen Temperatur­en von mehr als 250 Grad Celsius.

An Hawkings Worte erinnerte Fotograf Michel Comte dieser Tage in Rom und Mailand sehr eindringli­ch. Comte ist bekannt für seine berühmten Fotos von Stars wie Iggy Pop, Sophia Loren, Miles Davis und Anthony Hopkins oder auch für sein Aktbild von Carla Bruni, das für 91.000 Dollar versteiger­t wurde, als diese Frankreich­s First Lady war. Nun zeigt er im Museum MAXXI in Rom und auf der Triennale in Mailand künstleris­che Arbeiten, die mehr mit ihm selbst zu tun haben: mit seiner Leidenscha­ft für Natur, Berge und Gletscher und dem tiefwurzel­nden Engagement des Schweizers, Bewusstsei­n für den Klimawande­l zu schaffen.

Es sind stille, in ihrer Fragmentie­rung oft fast schon abstrakte Bilder von Gletscherl­andschafte­n; Comte verewigt das, was nicht mehr ewig ist, die schwindend­en Schönheite­n des Eises. Ob nun Aufnahmen von mit lautem Getöse abbrechend­en Eismassen oder mit Muranoglas nachempfun­denen Eislandsch­aften, die Arbeiten des 63-Jährigen erzählen zwar vom Sublimen, pittoresk sind sie nicht, eher von spröder Anmut.

„Die Wüsten werden sich ausbreiten, die Ozeane aufheizen, es wird mehr und stärkere Stürme geben“, mahnt Comte im StandardIn­terview. Was er nicht versteht: „Warum sind wir so ignorant? Warum hören wir nicht auf die Signale, bevor wir bei 50 Grad Celsius in den Städten schwitzen?“Man könne etwas ändern! Grünere Städte! Mehr zu Fuß gehen! Weniger online konsumiere­n! „Wir haben inzwischen fast so viele Frachtflug­zeuge wie Passagierm­aschinen!“Also auch bewusster reisen! Nicht alle seiner Aufnahmen entstehen per pedes oder Drachenfli­eger, manchmal ist der Helikopter unerlässli­ch. Doch privat reist Comte, etwa zur Schau nach Rom, mit dem Zug.

Mit den Porträts der Gletschera­reale begann Comte vor mehr als 30 Jahren, die Faszinatio­n reicht allerdings noch weiter zurück. Mit den Bildern seines Großvaters, des Schweizer Flugpionie­rs Alfred Comte, der bereits 1914 von seiner Alpenüberq­uerung die unglaublic­hsten Bilder in der Sonne glitzernde­r Gletscher mitbrachte, waren ihm die Berge quasi schon in die Wiege gelegt. Aber damals bedeckten deren Spitzen noch weiße Massen, „es gab noch keinen Rückzug der Eiskappen“.

Es war beim Bergsteige­n – Comte war bis zum Tod eines Freundes ein begeistert­er, ja extremer Kletterer –, als er den raschen Rückzug der Gletscher bemerkte. 1986, Comte verbrachte ein Jahr im Himalaja, traf er in einem Kloster eine Gruppe chinesisch­er Wissenscha­ftler. Sie erklärten ihm, der einzige Grund, warum China sich für Tibet interessie­re, seien dessen Wasserrese­rven. Man sei damals davon ausgegange­n, 2020 einen massiven Wasserengp­ass zu haben. Zurück in der Schweiz sei er wieder Klettern gegangen, „zum Piz Morteratsc­h, Piz Roseg, aber auch in die Dolomiten, ins Montblanc-Massiv, nach British Columbia, zurück zum K2. Ich begann, die Veränderun­gen mit eigenen Augen zu sehen.“Und der Rückgang war um so vieles gravierend­er als jene 20 Zentimeter, von denen die Wissenscha­ft sprach.

In Rom hat Comte etwa einen intensiven Moment der Andacht und Stille geschaffen: Im tiefen Dunkel eines verschwend­erisch großen Saals wirkt sein Szenario von Erhabenhei­t und Verlust besonders intensiv. In der Düsternis scheint man allein mit der Erfahrung, mit dem Anblick des schimmernd­en, von Eis bedeckten Bergmassiv­s, das mittels 3D-MappingTec­hnik auf einen schwarzen Granitbroc­ken projiziert ist.

Trauriges Unbehagen

Aber der Gletscher zieht sich vor den Augen des Betrachter­s rasant zurück. Übrig bleibt tiefgrauer Fels und ein trauriges Unbehagen, das auch vom Grollen und Knacksen des Soundteppi­chs genährt wird, ein Mix (Maurizio Argentieri) von am Gletscher aufgenomme­nen Geräuschen. Der Titel antwortet dem Gefühl: Requiem.

Man müsse fühlen, um zu verstehen, sagt Comte. Wie der Krieg ist, könne man auch nicht sagen, „das muss man riechen“. Fernsehen sei ein zu flaches Informatio­nsmedium. Auch er erweitert die Fotografie nun um Raumgreife­ndes. „Was die Leute wirklich machen sollten, sind Touren nach Val Roseg.“Dort habe man begonnen, Schilder aufzustell­en, die anzeigen, wie viel Meter pro Jahr die Gletscher verschwind­en. Das ist Mindmaking.“„Light“, MAXXI Museum, Rom, bis 10. 12.; „Black Light, White Light“, Triennale di Milano, bis 6. 1. Die Reise nach Rom wurde finanziert von Comte Media.

 ??  ?? Strukturen bedrohter Gletscher: „Light. Val Roseg Gletscher, Schweiz“(2017) von Michel Comte.
Strukturen bedrohter Gletscher: „Light. Val Roseg Gletscher, Schweiz“(2017) von Michel Comte.
 ??  ?? Michel Comte 2009 auf dem Breithorn in der JungfrauRe­gion. Im April 2018 wird er allerdings in Parma sein, wo er im Teatro Farnese den „Don Giovanni“mit Iggy Pop in der Titelrolle inszeniert. Uraufführu­ng: 16. April.
Michel Comte 2009 auf dem Breithorn in der JungfrauRe­gion. Im April 2018 wird er allerdings in Parma sein, wo er im Teatro Farnese den „Don Giovanni“mit Iggy Pop in der Titelrolle inszeniert. Uraufführu­ng: 16. April.

Newspapers in German

Newspapers from Austria