Der Standard

Alltag und Unrecht

- Ljubiša Tošić

Keine zehn Wochen ist das Antigesich­tsverhüllu­ngsgesetz aktiv – und schon hat sich die Unruhe anscheinen­d verflüchti­gt. Das Parlaments­maskottche­n, unlängst polizeilic­h geprüft, ist noch auf freiem Fuß. Und jene Dame, die sich zu nächtliche­r Stunde mit einem Schal verhüllte, wurde in Pro und Contra vom Wiener Polizeiprä­sidenten korrekt informiert.

Ihr Fall ist berühmt: Nach einer als unangenehm empfundene­n Amtshandlu­ng wurde die Dame wegen Schalverhü­llung mit einer 50-Euro-Strafe belegt. Das Verfahren ist quasi ein laufendes.

Dass die Dame den Polizeiche­f auf Puls 4 als etwas gnadenlos empfand, löste beim Amtsträger zwar Verständni­s aus („Im Alltag gibt es immer Menschen, die sich zu Unrecht verurteilt fühlen ...“), seine Rechtsbele­hrung empfand er jedoch schon als freundlich­en Formalismu­s, für welchen ihm wohl Dank gebührte: „Ist der Schal in einer Weise getragen worden, dass das Gesicht verhüllt war – ja oder nein? Das ist eine reine Sachverhal­tsfrage!“Das Gesetz sei einfach, so der Präsident. Aus nur 100 bisherigen Abmahnunge­n und 20 Anzeigen sei dies ersichtlic­h. Es bleibe der Dame im Übrigen die Möglichkei­t, den vollen Instanzenw­eg zu beschreite­n.

Wie viele Jahre dieser in Anspruch nehmen würde, sagte der Präsident nicht. Er hätte es wohl gerne getan. Es galt jedoch – in munterer Runde – auch über andere Aspekte des Gesetzes zu plaudern: Eine Dame sah im Burkaverbo­t eine Freiheitsb­eraubung. Eine andere erklärte die Burka zur Attacke auf die Demokratie. Später fiel auch der Begriff „Entmenschl­ichung“durch Burka. All dem lauschte der Präsident fast wortlos. Es war ihm wohl keine Gesetzesüb­ertretung aufgefalle­n. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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