Der Standard

LESERSTIMM­E

- Kritisch und mutig

Betrifft: „Was ist heute links?“von Hans Rauscher

der Standard, 2. 12. 2017 Hans Rauscher bringt es fertig, in seinem Essay Begriffe wie „Kapitalism­us“, „Profitmaxi­mierung“, „Konsumgese­llschaft“, „Ressourcen­verbrauch“oder etwa auch „Klimawande­l“nicht ein einziges Mal zu verwenden.

Wenn man solchermaß­en ein wahrhaft globales Problem auf die nicht gerade tiefschürf­ende Frage „Wie können sozialdemo­kratische Parteien in Europa jemals wieder Wahlen gewinnen?“reduziert, ist der fulminante Höhepunkt seiner Analyse – immerhin! –, dass die sozialdemo­kratischen Parteien Mitteleuro­pas „wahrschein­lich zumindest gedanklich“die „globale Ungleichve­rteilung angehen“müssen, aber freilich auch nur, um weitere Migration aus Afrika und dem muslimisch-arabischen Raum von Europa fernzuhalt­en.

Wenn man die Fragen eines ressourcen­schonenden Wirtschaf- tens und einer gerechten globalen Verteilung von Gütern erst gar nicht aufkommen lässt, ist es dann auch nur folgericht­ig, dass man den „gerechten Anteil“am Wohlstand, den Flüchtling­e einfordern könnten, in Anführungs­zeichen setzen muss, wie Rauscher dies tut.

„Links sein“bedeutet meiner Meinung nach, die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se möglichst klarsichti­g und tabufrei zu analysiere­n und nach den Ergebnisse­n dieser Analyse zu handeln zu versuchen. Das ist schwierig genug und im Ergebnis vielleicht gar nicht so sehr „links“im herkömmlic­hen Sinn, sondern einfach nur „kritisch“, wahrschein­lich auch „mutig“.

Worum es in der heutigen gesellscha­ftlichen, global-wirtschaft­lichen und ökologisch­en Situation wirklich geht, könnte Herr Rauscher bei Autoren wie Ulrich Brand oder Harald Welzer nachlesen. Doch dazu müsste er bereit sein, sich selber stärker infrage zu stellen, als er dies offensicht­lich zu tun bereit oder imstande ist.

Friedrich Stürmer, per Mail

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