Ehe für alle auf Österreichisch
Nicht die Politik, sondern das Höchstgericht sorgt für gesellschaftliche Erneuerung
Für Lesben und Schwule – und für Gruppen, Parteien, Expertinnen und Experten, die sich für ihre rechtliche Gleichstellung einsetzten – kommt die Öffnung der Ehe für Homosexuelle durch den Verfassungsgerichtshof einer Erfüllung all ihrer Forderungen gleich. Entsprechend groß ist ihre Freude, mit Recht sprechen sie von einer historischen Entscheidung.
Denn hiermit reiht sich Österreich unter jene weltweit rund 20 Länder ein, die zwischen hetero- und homosexuellen Partnerschaften keine gesetzliche Hierarchie mehr gelten lassen. Es gehört nun zu jenen Staaten, die der Privilegierung traditionell anerkannter und verwurzelter MannFrau-Beziehungen gegenüber MannMann- oder Frau-Frau-Verbindungen ein Ende setzen – und das just in einer Situation, in der es politisch in eine völlig andere Richtung geht.
Das macht das Paradoxe und Prekäre dieses Schrittes aus: Er findet in Zeiten eines massiven Rechtsrucks statt. Mit der ÖVP und der FPÖ konnten bei der vergangenen Nationalratswahl zwei Parteien die meisten Wählerinnen und Wähler hinter sich vereinen, die der Gleichstellung Homosexueller ablehnend gegenüberstehen. Nun verhandeln sie über eine Regierung, die laut Umfragen einer Mehrheit als die noch beste Lösung für das Land erscheint. Dabei zeigten Umfragen der vergangenen Jahre wiederholt, dass unter Österreicherinnen und Österreichern in Bezug auf Homosexualität liberalere Ansichten P dominieren. olitisch ist unter einer türkisblauen Regierung eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle bei gleichzeitiger Öffnung der eingetragenen Partnerschaften für Heterosexuelle – so der Entscheid der Verfassungsrichter – völlig unrealistisch. Noch unrealistischer als unter Rot-Schwarz, als die ÖVP den finalen Schritt zur Lesben- und Schwulengleichstellung ausbremste. Zuletzt etwa in Gestalt des wohl künftigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der während des Wahlkampfs die eigens für Homosexuelle geschaffene eingetragene Partnerschaft als völlig ausreichend bezeichnete – eine Regelung, der die Verfassungsrichter nunmehr eine „diskriminierende Wirkung“zuschreiben.
Damit setzte Kurz fort, was die ÖVP seit dem Erstarken der Lesben- und Schwulenbewegung vor rund 30 Jah- re durchgehend getan hat – und wofür sie seit der Machtübernahme HeinzChristian Straches in der FPÖ auch die Blauen auf ihrer Seite wusste. Sie verhinderte, dass es in Österreich zu parlamentarischen Gleichstellungsbe schlüssen kam. Für die von rechten Burschenschaft ern und Mädels dominierte Strache-FPÖ wäre derartiges ohnehin ein No-Go. In ihrer Weltsicht sind Lesben und Schwule für Ehe und Familie prinzipiell ungeeignet, obwohl diese in Österreich inzwischen volles Adoptionsrecht haben.
Wie alle grundlegenden Homosexuellen gle ich stellungs schritte basiert auch das Adoptionsrecht auf einem Verfassungs gerichtshof erkenntnis. Auf eine von dem in Gleichstellungscausen umtriebigen Anwalt Helmut Graupner eingelegte Beschwerde hin wandten die Höchstrichter die hier inzwischen bestimmenden europarechtlichen Entscheide an.
Dass ihnen damit die Rolle eines gesellschaftspolitischen Gesta lt erszukommt,i stein österreichisches Spezifikum. In Zeit endes Rechts rucks zeigt es eine politische Schwäche auf und macht auch an diesem Punkt einen zentralen Zug sichtbar: die Spaltung der österreichischen Gesellschaft.