Einem Rugbyteam gehen die Gegner aus
Georgiens Rugby-Team ist erfolgreich wie nie. Auch durch das herbstliche Länderspielfenster wehte der süße Duft des Sieges herein: Kanada und die USA wurden bezwungen. Doch man stößt an eine gläserne Decke: Den „Lelos“gehen die Gegner aus.
Tiflis/Wien – Erfolg kann einsam machen. Diese Erfahrung machen nicht nur Topmanager, sondern auch das Rugby-Nationalteam Georgiens. Die Fünfzehn aus dem Kaukasus etablierte sich in den vergangenen Jahren als Europas Nummer sieben, nur die elitären Six Nations (England, Irland, Schottland, Wales, Frankreich, Italien) rangieren höher. Nicht einmal das ist sicher, steht doch Georgien in der Weltrangliste des Internationalen Verbandes World Rugby auf dem zwölften Platz und damit einen Rang vor Italien.
Doch es gibt ein Problem. In der rigiden Welt des Rugby, die noch immer einer hierarchisch organisierten Standesgesellschaft gleicht, führt der Weg von Nationen wie Georgien von der Siegerstraße direkt in die Sackgasse. Während die geschlossene Gesellschaft der Six Nations allein entscheidet, wer Zugang zum Klub erhält, gehen den Georgiern die Gegner aus. Denn über die Konkurrenz der Europe Championship, des nachrangigen Kontinentalbewerbs, ist man längst hinausgewachsen.
Es müsste also stärkere Opposition her, aber das ist einfacher gesagt als getan. Denn World Rugby hält eine Hackordnung aufrecht, in der Nationalauswahlen je nach Spielstärke streng voneinander geschiedenen Leistungsklassen („Tiers“) zugeordnet sind.
Große Niveauunterschiede
In der Regel ist es so, dass allein Gegner ein und derselben Tiers aufeinandertreffen. Das ist nicht so absurd, wie es klingt, denn die Niveauunterschiede sind im Rugby größer als in anderen Sportarten. Aufgrund der Trägheit des Systems sind paradoxe Entwicklungen wie der Fall Georgien immanent. Im letzten Dezennium bekamen die Lelos, von WM-Mat- ches abgesehen, gerade einmal vier Chancen, um sich mit sogenannten Tier-1-Nationen (die Six Nations, Neuseeland, Südafrika, Australien sowie Argentinien) zu messen. Der Vergleich mit den Besten der Besten ist jedoch, was seinen Spielern zu weiterem Fortschritt am meisten fehlt, klagt Georgiens neuseeländischer Chefcoach Milton Haig.
World Rugby dürfte das Problem erkannt haben. Der neue Matchkalender (2020 bis 2032) weist um 39 Prozent mehr Spiele zwischen Tier-1- und Tier-2-Nationen auf als bisher.
Das reicht den Georgiern aber nicht, wie Lascha Churzidse, High Performance Director des nationalen Verbandes, dem STANDARD sagte. Man benötige einen stabilen Rahmen innerhalb eines Wettbewerbs auf avanciertem Level – und das möglichst flott. Forciert wird deshalb die Gründung einer eigenen Franchise, die idealerweise bereits im Herbst 2018 den Spielbetrieb aufnehmen soll, und zwar entweder in der französischen Meisterschaft oder der internationalen Liga Pro14. Auch mit Südafrika werde verhandelt.
Der Ahnherr des Rugby in Georgien ist – so der Mythos – ein Spiel namens Lelo Burti. Ganze Dörfer traten bei diesem „Feldball“gegeneinander an, von dem die Nationalmannschaft auch ihren Spitznamen bezieht. Im 1991 unabhängig gewordenen Georgien lag der Rugbysport zunächst am Boden. Es dauerte zehn Jahre, ehe sich erste Erfolge einstellten. Seither aber geht es stetig bergauf, seit 2003 hat sich das Team für alle Weltmeisterschaften qualifiziert. In der Weltrangliste haben die Lelos ein Allzeithoch erreicht.
Etwa 15.000 Aktive gibt es, eine eigentlich recht dünne Basis, auch wenn die Zahlen steigen. Vergleiche mit Rumänien (24.610), Deutschland (29.191) oder Russland (98.210) – allesamt Mitbewerber aus der Rugby Europe Championship – zeigen, wie viel daraus gemacht wird. Ein gewichtiger Vorteil der Georgier besteht darin, dass eine große Zahl ihrer Topspieler bei Spitzenklubs in Frankreich engagiert sind und dort beste Anleitung erfahren. Ebenso hilfreich ist das Mäzenatentum von Ex-Premier Bidsina Iwanischwili. Der Milliardär pumpt erkleckliche Summen ins Rugby, bestätigt sind 130 Millionen Lari (etwa 43 Millionen Euro). Das macht sich hinsichtlich Nachwuchsförderung und Infrastruktur höchst nutzbringend bemerkbar. Inzwischen haben einige Junge den Weg ins Nationalteam gefunden, die aussichtsreichsten Perspektivspieler georgischer Klubs üben dreimal pro Woche mit Teamchef Haig.
Geänderter Spielstil
In dessen bereits sechs Jahre andauernder Ära verabschiedete sich die Nationalmannschaft auch sukzessive von ihrem etwas anachronistischen Stil. Lange hatte man so gut wie ausschließlich auf kolossale Forwards gebaut, die die anderen Mitspieler im Zweifelsfall erst gar nicht am Spiel partizipieren ließen. Das war aber keinesfalls im Sinne Haigs, dem mit der Muttermilch das dynamische Laufspiel seiner Landsleute verabreicht worden ist. Trotz Reformation hat das georgische Pack jedoch nichts von seiner Imposanz eingebüßt. Man habe, so Churzidse, eine gute Balance gefunden.