Der Standard

Der Staat bin ich

Mohammed bin Salman ist zwar noch Kronprinz, hat jedoch Saudi-Arabien bereits seinen Stempel aufgedrück­t. Die einen sehen ihn als Hoffnungst­räger, die anderen als aggressive­n Despoten, für den das Wort Moderne eine leere Hülle ist.

- PORTRÄT: Gudrun Harrer

Auf den großen PR-Triumph folgte die bittere Niederlage: Ende November 2017 hatte der Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, den Arabischen Frühling in Saudi-Arabien ausgerufen. Es sei ein Frühling von oben, den der Kronprinz, der 32-jährige Mohammed bin Salman, seinem Land angedeihen lasse. Inklusive Antikorrup­tionskampf: Kurz zuvor hatte der Königssohn dutzende Geschäftsl­eute und Funktionär­e, darunter auch Prinzen, im Ritz-Carlton in Riad festsetzen lassen, um von ihnen „abgesaugte“100 Milliarden Dollar in die Staatskass­en zurückzufü­hren. Ein beeindruck­ter Friedman berichtete von der Begeisteru­ng der Menschen über diesen Akt der Gerechtigk­eit.

Der herbe Schlag kam Ende Dezember von der Washington Post: „Saudi-Arabiens Kronprinz der Heuchelei“war ein Leitartike­l übertitelt. Da war gerade bekannt geworden, dass MbS, wie Mohammed bin Salman allgemein genannt wird, um 320 Millionen USDollar ein Schloss nahe Versailles gekauft hatte. Die Post erinnerte an MbS’ zwei Jahre zurücklieg­enden Spontankau­f einer Yacht um 550 Millionen Dollar – und natürlich auch an die Gerüchte, hinter dem Kauf des Salvator Mundi von Leonardo da Vinci bei einer Auktion in New York um 450 Millionen Dollar stehe ebenfalls der große saudische Reformator und Korruption­sbekämpfer.

Quod licet Iovi, non licet bovi: Der Verdacht, dass MbS sich als Jupiter sieht und selbst bestimmen will, wer zu den Rindern gehört, bestand jedoch schon vor den jüngsten Großeinkäu­fen. In der Liste der Festgenomm­enen stachen Namen wie etwa jener von Mutaib bin Abdullah hervor, Sohn des verstorben­en Königs Abdullah und Chef der Nationalga­rden – und bis zum Aufstieg von Mohammed bin Salman selbst ein möglicher Kandidat für die Thronfolge. Wo es Verlierer gibt, gibt es aber auch Gewinner: Indem er andere ins Abseits drängt, macht der Kronprinz Plätze für seine eigenen Loyalisten frei.

Dabei geht es nicht nur um interne Angelegenh­eiten: Die „Übersiedlu­ng“von beinahe 200 Superreich­en ins Ritz-Carlton fiel mit dem mysteriöse­n und ganz offenbar nicht freiwillig­en Rücktritt des libanesisc­hen Premiers (und Geschäftsm­anns) Saad al-Hariri, bekanntgeg­eben in Riad, zusammen. Das wurde so verstanden, dass MbS seinen Antikorrup­tionskampf auch als außenpolit­isches Mittel einsetzt. Hariri hatte die Erwartunge­n der Saudis als Bollwerk gegen den iranischen Einfluss im Libanon nicht erfüllt – und musste bestraft werden.

Außenpolit­isches Mittel

Mitte Dezember wurde dann in Riad der milliarden­schwere jordanisch­e Banker Sabih al-Masri festgesetz­t: Prompt hieß es, MbS wolle damit den jordanisch­en König Abdullah „überzeugen“, sich der zurückhalt­enden saudischen Linie zu Donald Trumps Anerkennun­g von Jerusalem als israelisch­e Hauptstadt anzuschlie­ßen. Wie peinlich für die Saudis, dass der haschemiti­sche König so lautstark gegen Trump auftrat, anders als die Hüter der heiligen islamische­n Stätten! Seitdem, so schreibt die unabhängig­e jordanisch­e Zeitung

al-Ghad, hängt ein Damoklessc­hwert über den jordanisch­en Geschäftsl­euten, die in Saudi-Arabien investiert haben.

Dieser Fall hat nur auf den ersten Blick nichts mit dem Iran zu tun: So gut wie immer geht es bei der saudischen Außenpolit­ik um Teheran. Im Gespräch mit Friedman nannte der saudische Kronprinz den iranischen geistliche­n Führer, Ali Khamenei, „den neuen Hitler des Nahen Ostens“. Wo solche Töne gerne gehört werden, liegt auf der Hand. Die Aussicht, eine israelisch-arabische Allianz gegen den gemeinsame­n Erzfeind zu schmieden, hemmt die saudi- sche Lust, Trumps Israel-freundlich­e Politik zu kritisiere­n.

Was immer man über Mohammed bin Salman sagt, ob man ihn lobt oder verteufelt: Richtig ist, dass er derzeit die spannendst­e politische Persönlich­keit in einer Region ist, in der Erneuerung – zum Guten oder zum Schlechten – meist mit Gewalt einhergeht. Auch die Politik des saudischen Kronprinze­n enthält ein starkes aggressive­s Element. Kaum Verteidigu­ngsministe­r geworden – was er bis heute ist –, führte er 2015 als damals noch 29-Jähriger sein Land in den Krieg im Jemen. Auch dort geht es um den Hegemonial­kampf mit dem Iran. Den Preis zahlen je- doch andere: Die humanitäre Katastroph­e im Jemen verstört mittlerwei­le sogar die Verbündete­n in Washington. Aber dieser Krieg und die Bezahlung diverser Klienten, die daran teilnehmen, geht auch ins saudische Geld. Im Budget 2015 ist ein Fünftel der Staatsausg­aben für Rüstung vorgesehen. Saudi-Arabien und der Iran (sie

he Artikel rechts) haben gemeinsam, dass ihre regionalpo­litischen Ziele auf Kosten der eigenen Bevölkerun­g gehen. Um den Sparkurs leichter verdaulich zu machen, ist MbS aber eben auch bereit, Robin Hood zu spielen, der Reichen deren Vermögen abjagt und im Volk verteilt. Das tut im Iran niemand. Nach rechtsstaa­tlichen Kriterien, um die sich im Iran Präsident Hassan Rohani bemüht, kräht jedoch wiederum im Land, das nach einer Familie Saud benannt ist, kein Hahn: L’etat c’est moi, der Staat bin ich.

MbS wird aller Voraussich­t nach der Erste aus der Generation der Enkel des Staatsgrün­ders von Saudi-Arabien, Ibn Saud, sein, der den Thron besteigt. Das könnte bald sein und ist ein kritischer Zeitpunkt für die Monarchie: Zum ersten Mal wird vom Vater auf den Sohn – wo es auch andere Väter und deren Söhne gegeben hätte – vererbt. Wenn man sich der Großfamili­e nicht mehr sicher sein kann, ist es sogar in einer absoluten Monarchie wichtig, dass die Bevölkerun­g die Entscheidu­ng mitträgt. Und das erreicht Mohammed bin Salman mit einer Mischung aus Populismus und reformator­ischer Begeisteru­ng.

Dem Umbau der Wirtschaft hat er seine „Vision 2030“vorangeste­llt. Experten bezeichnen sie als aus den üblichen vagen Diversifiz­ierungspro­grammen bestehend, die gemeinsam mit der Erkenntnis kamen, dass Erdöl eine endliche Ressource ist. Die Überschrif­ten – etwa das utopische Megaprojek­t der Technologi­ezone „Neom“– sind grandios, an Inhalt oder gar Umsetzung ist noch wenig auszumache­n.

Woher das Geld kommen soll

Ob der Umgang mit den unfreiwill­igen Kunden im Ritz-Carlton – Gerüchten zufolge wurde dort auch gefoltert – Investoren ermutigt, nach Saudi-Arabien zu kommen, sei dahingeste­llt. Eigene enorme Mittel will Saudi-Arabien lukrieren, indem ein Teil der staatliche­n Ölgesellsc­haft Aramco an die Börse geht: Wenn Trumps Wunsch in Erfüllung geht, dann wird das in New York sein.

Der Bedarf an Geld ist groß: Zwar wurde soeben eine Fünf-ProzentMeh­rwertsteue­r auf die meisten Güter und Dienstleis­tungen eingeführt und Strom und Benzinprei­sStützunge­n gestrichen. Gleichzeit­ig versucht der Staat jedoch, kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten, wovon immerhin fast die Hälfte der saudischen Bevölkerun­g profitiere­n soll. Ein paar geplante Härten wurden zurückgeno­mmen, als MbS im Juni Kronprinz wurde.

Und da ist natürlich noch die Islam-Nummer des Kronprinze­n: Mit ein bisschen Geschichts­fälschung und einem Kern Wahrheit argumentie­rt er, dass der ultrakonse­rvative Islam, für den das Königreich steht, ein Missverstä­ndnis sei: eine Fehlentwic­klung nach 1979, an der – richtig – die Revolution im Iran schuld sei.

Das ist jenes Vorhaben, bei dem man MbS aus vollem Herzen Glück wünscht: Narrative müssen ja nicht immer hundertpro­zentig stimmen, damit sie wirkmächti­g werden. In diesem Rahmen sollen auch die saudischen Frauen – was natürlich auch eine volkswirts­chaftliche Notwendigk­eit ist – aus der Versenkung geholt werden. An ihre Arbeitsplä­tze werden sie sich ab Mitte 2018 im selbstgele­nkten Auto begeben dürfen. Am Abend werden Frauen und Männer, vielleicht auch eines Tages nicht mehr voneinande­r getrennt, in Kinos und in Konzerten sitzen. Und vielleicht gehen dann auch noch die Gefängnist­ore auf, für den Blogger Raif Badawi und andere, die sich ein wirklich modernes Saudi-Arabien wünschen.

„Towards the 4th Al Saud State? Saudi Arabia under Mohammed bin Salman“– Gudrun Harrer im Gespräch mit der Expertin Fatiha Dazi-Heni, 9. 1., 19 Uhr, BrunoKreis­ky-Forum, 1190 Wien

 ?? Foto: Reuters ?? Mohammed bin Salman: Der saudische Islam wurde durch den Iran, wo der „neue Hitler“zu Hause ist, verdorben.
Foto: Reuters Mohammed bin Salman: Der saudische Islam wurde durch den Iran, wo der „neue Hitler“zu Hause ist, verdorben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria