Der Standard

„America First ist sehr egoistisch“

Ex-UN-Generalsek­retär Ban Ki-moon und Heinz Fischer sind in Sorge, dass Politiker nur noch innerhalb nationaler Grenzen denken. Ihr Zentrum in Wien soll helfen, junge Menschen zu Weltbürger­n zu machen.

- INTERVIEW: Manuel Escher

Standard: Ihr Zentrum trägt „Global Citizens“im Namen. Dafür gibt es viele Definition­en. Wie ist Ihre? Ban: Wir leben in einer eng vernetzten Welt. Es gibt kein Land, das nicht davon betroffen wäre, was in benachbart­en oder entfernten Staaten passiert. Wir sind Teil einer globalen Familie. Als UN-Generalsek­retär habe ich viele Konflikte gesehen, die davon ausgelöst wurden, dass es kein Bewusstsei­n dafür gibt. Vielen Führungsfi­guren sind nationale Interessen am wichtigste­n, Nationalis­mus und Isolationi­smus sind Grund und Konsequenz. Daher müssen wir die globale Bürgerscha­ft durchsetze­n.

Standard: In vielen Ländern wachsen nationalis­tische Gefühle. Muss man den Weltbürger schützen? Ban: Das ist genau der Grund für den Aufbau dieses Zentrums. Europäisch­e Länder haben wichtige Initiative­n gestartet. Aber auch dort bauen viele nun eher Mauern als Brücken. Aber die globalen Herausford­erungen bleiben. Dem Klimawande­l, Seuchen und Extremismu­s ist es egal, wo Sie leben! Das macht mir große Sorgen. Es hat in den USA begonnen und betrifft auch viele europäisch­e Staaten.

Standard: Warum ist das so? Fischer: Nationalis­mus wächst, wenn die offene, pluralisti­sche Gesellscha­ft unter Druck ist. Das kann wirtschaft­liche Gründe haben, wie in der Krise 2008 bis 2016. Es kann aber auch politische­r Druck sein und Angst vor Terror. Wenn sich Menschen sicher fühlen, wenn sie entspannt sind, öffnet sich die Gesellscha­ft. Wenn es Druck gibt, sagen sie, wir müssen in unseren Grenzen bleiben und die Grenzen schließen. Standard: Auch an Österreich hat es jüngst Kritik gegeben wegen der Regierungs­beteiligun­g der FPÖ. Hat das Folgen für Ihr Zentrum? Fischer: Ich würde sagen, dass die Entscheidu­ng für Wien als Standort mit der internatio­nalen Rolle Wiens und den Möglichkei­ten hier zu tun hat. Sie hat nichts mit der Zusammense­tzung der vorherigen Regierung zu tun und nichts mit der der neuen.

Standard: Sie kritisiere­n die Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump, den Pariser Klimavertr­ag zu verlassen. Erschwert das auch Ihre Arbeit für die Entwicklun­gsziele? Ban: Die USA hatten in vergangene­n Jahrzehnte­n eine Führungsro­lle, auch bei der UN-Gründung. Präsident Trump sollte realisiere­n, dass kein Land allein lebt. „America First“: Für die USA ist es am wichtigste­n, dass Amerikaner in Frieden und Wohlstand leben. Aber so ist das egoistisch, sehr egoistisch.

Standard: Was könnte Ihr Zentrum tun, um Solidaritä­t zu schaffen? Fischer: Das ist, wie der Soziologe Max Weber sagt, das Bohren eines sehr harten Brettes. Wir wollen nicht dasitzen und sagen: „Wir hatten Verantwort­ung, und jetzt sind wir in Pension.“Wir müssen unsere Erfahrunge­n, wie Politik funktionie­rt, nutzen. Es kann sein, dass es ein kleiner Beitrag wird, aber es ist sicher besser als nichts.

Standard: Hat Politik den Willen oder vielleicht die Fähigkeit verloren, längere Zeiträume zu planen? Ban: Kurzfristi­ge Gewinne mögen für Politiker positiv sein, so bekommt man Stimmen. Aber sie müssen an die Konsequenz­en denken. Friede kann nie dauerhaft sein, wenn er nicht alle einbezieht. Wachstum kann nicht anhalten, wenn nicht alle Gruppen profitiere­n. Das scheint mir im Denken vieler Politiker fast völlig zu fehlen. Es gibt nicht viele, die ein Weltbürger- tum einbringen. Das mag abstrakt klingen, aber es ist wichtig. Und wir müssen versuchen, das zu ändern.

Standard: Sie planen Interventi­onsgruppen für Mediation. Denken Sie dabei an bestimmte Regionen? Ban: Spezifisch­e Regionen gibt es nicht. Wenn sich die Möglichkei­t ergibt, dann werden wir helfen. Möchtest du dazu etwas sagen? Fischer: So etwas funktionie­rt nur, wenn es diskret stattfinde­t.

Standard: Ihr nächstes Treffen findet am Rand der Winterspie­le in Pyeongchan­g statt. Was erwarten Sie sich von den Spielen? Ban: Als UN-Generalsek­retär habe ich eng mit IOC-Chef Thomas Bach zusammenge­arbeitet, um Sport als Mittel für Frieden zu nutzen. Die Situation auf der Koreanisch­en Halbinsel ist eine Quelle der Sorge. Wir haben es mit einem Schurkenst­aat zu tun, der Atomwaffen hat und testet. Wir müssen die Chance zwischen Süden und Norden nutzen, so klein sie auch sein mag, um die Spannung zu senken. Fischer: Die Politik darf den Sport nicht beeinfluss­en, aber der Sport kann der Politik helfen. Die Olympische­n Winterspie­le 2018 finden in einer Region mit großer Spannung statt. Da kann der Sport schon eine positive Rolle spielen.

Standard: Ist es Ihr Eindruck, dass sich alle Verantwort­lichen – auch zum Beispiel in den USA – der Folgen bewusst sind, die ein Krieg auf der Halbinsel hätte? Ban: Man muss alles tun, um einen militärisc­hen Konflikt zu vermeiden. Wir haben die schrecklic­hen Folgen dieses Bruderkrie­ges schon in den 1950er-Jahren gesehen. Dass wir es bei Nordkorea nun mit dem schlimmste­n Normenbrec­her der Welt zu tun haben – das macht die Sache sehr ernst. In dem fast halben Jahrhunder­t, das ich internatio­nal und in Korea im Dienst der Diplomatie war, habe ich nie solche Spannungen auf der Koreanisch­en Halbinsel gesehen. Es ist absolut nötig, dass alle einen kühlen Kopf bewahren.

In dem fast halben Jahrhunder­t, das ich internatio­nal und in Korea im Dienst der Diplomatie war, habe ich nie solche Spannungen erlebt. Ban Ki-moon

BAN KI-MOON (73) war von 2007 bis 2016 UN-Generalsek­retär. HEINZ FISCHER (79) war von 2004 bis 2016 Bundespräs­ident Österreich­s.

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Ex-UN-Generalsek­retär Ban Ki-moon und Altbundesp­räsident Heinz Fischer sind über Nationalis­mus in Sorge. Auch daher haben sie am Mittwoch das Ban Ki-moon Centre for Global Citizens eröffnet.

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