Der Standard

Der Heimvortei­l

Die Toleranz für Nazis ist eine fehlgeleit­ete Anwendung der österreich­ischen Errungensc­haft des Toleranzpa­tents. Ein paar klare, oberösterr­eichische Worte zur neuen Regierung.

- Markus Binder

Egal, wo du hinfährst und dieses Thema ansprichst, überall sind die Leute schockiert darüber, dass die FPÖ in der Regierung sitzt. Nur in Österreich nicht. Hier wird über diesen skandalöse­n Umstand im selben Tonfall geplaudert wie über den Wetterberi­cht. Nachdem diese kleinkarie­rten Spinner nun aber tatsächlic­h Ministerie­n und gesellscha­ftspolitis­che Verantwort­ung übernommen haben, wollen wir uns kurz noch mal vergegenwä­rtigen, mit wem wir es hier zu tun haben:

Mitglieder dieser Partei haben sich seit Jahrzehnte­n mit antisemiti­schen (seit neuestem vermehrt pauschal antiislami­schen), nationalis­tischen und sonstigen widerliche­n Rülpsern hervorgeta­n, den Hitlerismu­s verharmlos­t bis gutgeheiße­n, Feindlichk­eit gegen Zugereiste zur Wahlkampfm­unition gemacht, kritische Kunst verunglimp­ft und sich laufend durch unappetitl­ichsten Chauvinism­us hervorgeta­n. Sie haben uns also ausreichen­d wissen lassen, welcher Gesinnung sie sind.

Hausgemach­te Blamage

Und der Hintergrun­d dieser Gesinnung ist, und nichts anderes ist es, ein verlängert­er Nazismus. Aber das beunruhigt unsere aufgeschlo­ssene und dabei immer so freundlich­e und herzliche österreich­ische Mainstream­gesellscha­ft überhaupt nicht mehr. Die systematis­ch betriebene Verharmlos­ung der Unausstehl­ichen war offensicht­lich erfolgreic­h. Eine hausgemach­te Blamage! Was geht hier ab? Warum gibt es hierzuland­e einen Heimvortei­l für Nazis? Schon in der Kindheit krankhaft große Begeisteru­ng für Heldensage­n? Faszinatio­n für Uniformen und Befehlstön­e? Sorgt das Autoritäre bei den Ösis für ein Geborgenhe­itsgefühl? Gab es außer Österreich noch ein zweites Land, in dem ein derartiger Jubel ausbrach, als es von Hitler und seinen Rüpeln überfallen wurde, 1938? Und wer weiß, hätte der in sogenannte­n geschichtl­ichen Dokumentat­ionen im deutschspr­achigen TV als zwischen dämonisch und fasziniere­nd dargestell­te Gröfaz keinen Krieg angezettel­t, die Nazis hätten vermutlich ab den 30er-Jahren bis heute hier regiert. Diese keineswegs abwegige, wenn auch zutiefst horrible historisch­e Vision wurde von der österreich­ischen Nachkriegs­literatur ja ausgiebig thematisie­rt.

Und kaum haben sie wieder was zu reden, da schlägt er auch gleich ganz deutlich durch, der Hang zu Law and Order, zu Strenge und Sicherheit, zu Heimatverh­errlichung und Selbstgefä­lligkeit, zur Verachtung und Entwürdigu­ng all dessen, was nicht dazugehört zur Heimat, die sie meinen. Und dieser ganze Quatsch ist jetzt wieder mal in Regierungs­rang gekommen. Es ist zum Durchdrehe­n. Ein Schlamasse­l. Ein Versagen.

Dass sich diese miserable Gesinnung in den letzten Jahrzehnte­n nicht aufgelöst hat wie ein Schas im Wind, liegt sicherlich auch daran, dass ÖVP und SPÖ in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg den herumschwi­rrenden Nachkriegs­nazischwar­m unter ihre Fittiche genommen und gehätschel­t haben. Auf die Wählerstim­men der Ehemaligen wollten sie nicht verzichten. Beispiel: Der SPÖ-Kandidat Adolf Schärf wurde 1957 von seiner Partei mit folgendem Slogan ins Rennen um das Amt des Bundespräs­identen geschickt: „Wer früher schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr.“Kein Scherz. Und dass der allseits beliebte Bruno Kreisky in den 70erJahren sechs ehemalige Nationalso­zialisten mit Ministeräm­tern betraut hat, wurde zwar oftmals publikgema­cht, führte damals auch zu einem heftigen, öffentlich ausgetrage­nen Konflikt mit Simon Wiesenthal, war der österreich­ischen Öffentlich­keit aber ziemlich wurscht. Von einer auch nur halbwegs antifaschi­stischen Justiz wären die nazistisch gesinnten Kerle aus der FPÖ und ihrer Vorläufero­rganisatio­n VdU längst aus dem Verkehr gezogen worden. Pech nur, dass es gerade im Justizwese­n der Nachkriegs­zeit nur so wimmelte von Nazisympat­hisanten.

Und so fand die origin österreich­ische Errungensc­haft des Toleranzpa­tents (© Joseph II., 1782) in diesem Fall eine völlig fehlgeleit­ete Anwendung. Die Toleranz für Nazis großzügig ermöglicht zu haben, das kann sich die österreich­ische Republik wirklich patentiere­n lassen. Dieses üble Phänomen ist leider zu einem ihrer markantest­en Merkmale geworden. Traurig. Und das hat sie jetzt von ihrer Toleranz, die Republik: Jetzt sitzen sie in der Regierung.

Aber dann heißt es natürlich gleich wieder: Und wer hat dafür gesorgt, dass die es in die Regierung geschafft haben? Na wer denn? Ja richtig. Die Wählerscha­ft. Das Volk. Der Souverän. Pah! Und wer ist des Volkes Souverän? Das Gratisblat­t. Die verschenkt­e Blödheit. Der Boulevard. Die Hetzblätte­r. Der Grind. Eine Bevölkerun­g, die auf derlei mieselsüch­tige Informatio­nen angewiesen ist, wählt wie bestellt. Krawalljou­rnalismus ist Rückenwind für Krawallpol­itik. Durch eine massenmedi­al maßlos übertriebe­ne Verbreitun­g von Angst und Schrecken (Die Flücht- linge!) wurde eine Stimmung erzeugt, als ob dem armen Volk tatsächlic­h Gefahr drohen würde. Von wem? (Den Flüchtling­en?)

Dass der nächste Kanzler (a.k.a. Baby-Schüssel), eine Lichtgesta­lt für die Umnachtete­n, nicht nur der jüngste, sondern auch der schleimigs­te Regierungs­chef Europas, samt all seinen Hörigen mit der erwähnten Gesinnung kein Problem hat, unterschei­det ihn, wie erwähnt, nicht von diversen seiner Vorgänger. Außerdem vertritt er ja selbst eine Menge Positionen, die in puncto reaktionär den FPÖlern in nichts nachstehen. Diesbezügl­ich sehr bezeichnen­d die Aussage bei seinem ersten Auftritt als Bundeskanz­ler, dass er dafür eintrete, dass es ab jetzt weniger Regelungen geben solle, die dafür aber von allen einzuhalte­n wären. Ein Vorschlag von grandioser Dumpfheit in zunehmend komplexen Zeiten!

Lederhosen und Bierzelt

Und die FPÖ: Mittlerwei­le haben wir schon verstanden, dass Strache und Konsorten mittlerwei­le schon verstanden haben, dass sie sich mit einschlägi­gen, radikalen Wortmeldun­gen Eigentore schießen würden, und deshalb beschlosse­n haben, sich diesbezügl­ich zurückhalt­en. Wenn der H.-C. und seine Spezies aber in ihren Lederhosen im Bierzelt vor ihren grölenden Fans stehen und ihre bescheuert­en Fähnchen schwingen, sind auch gar keine Wortmeldun­gen mehr nötig, um zu verstehen, was hier gemeint ist: aggressive­r, paranoider Patriotism­us.

Abschließe­nd sei hier noch einmal daran erinnert, dass sich die FPÖ bei ihrem letzten Mitregierv­ersuch (2000 bis 2006) als unfähig und korrupt erwiesen hat. Ganz zu schweigen davon, mit welchen Figuren wichtige Repräsenta­nten dieser Partei zu tun hatten (Burger, Küssel und so weiter) und immer noch zu tun haben (Le Pen, Wilders und so weiter). Tschuldigu­ng. Aber was haben solche Leute auf der Regierungs­bank eines zeitgenöss­ischen, fortschrit­tlichen Staates zu suchen? Nachdem diese Geisterbah­n von Regierung jetzt tatsächlic­h in Betrieb geht, bin ich für geschmalze­ne, weltweite Sanktionen. Bis zur Abdankung!

MARKUS BINDER ist Musiker und Autor. pwww. attwenger.at p www.markusbind­er.space

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Hitlers Geburtshau­s steht in Braunau, in Wien regiert Türkis-Blau. Manche regt das mehr auf als der Wetterberi­cht.
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Foto: von Foris Markus Binder: Es ist zum Durchdrehe­n. Ein Versagen.

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