Grenzüberschreitung mit Red Bull
Extremsportler gehen ein zunehmend größeres Risiko ein. Immer wieder gibt es Todesfälle. Reinhold Messner im STANDARD über den „Kick“dahinter.
Böhmermann ist ein Problem. Denn Böhmermann, Jan Böhmermann, ist viel von dem, was Red Bull einmal darstellen wollte, ja auf seine kommerziellen Zwecke ausgelegt irgendwie auch dargestellt hat. Der deutsche Satiriker, Moderator, Journalist, Musiker und Autor ist vielleicht nicht mehr ganz jung (36), aber er ist klug und frech, ein richtiger „Scheiß-mir-nichts“, sozusagen cool, selbst für ein deutlich jüngeres (Ziel-)Publikum.
2016 erhielt Böhmermann den Grimme-Preis in der Kategorie „Unterhaltung/Spezial – Innovation“im deutschen Fernsehen. „Unterhaltung/Spezial – Innovation“– so ließ (und lässt sich teils noch immer) trefflich die Strategie umreißen, mit der Red Bull seine umstrittenen Erfrischungen bewarb. Früher gehörten auch unbedingt noch die Worte Exklusivität und Dezenz dazu.
Tod gehört dazu
Dass gegenwärtig und immer wieder auch der Tod dazugehört, hat Böhmermann Anfang Dezember im ZDF- Neo Magazin Royale ebenfalls aufgegriffen – neben einer gründlichen, aber wohlfeilen Demontage von Stratosphärenspringer und Facebook-Größe Felix Baumgartner und Ätzendem über TV-Sendungsinhalte aus dem Reich des Dietrich Mateschitz und über, nun ja, populistische Aussagen des Chefs selbst. Garnitur war die Anregung einer „Red Bull Refugee Challenge“, die einem das Lachen gefrieren ließ.
Böhmermanns Auslassungen folgten dem vorerst letzten Todesfall in der bunten Red-Bull-Sportlerfamilie. Nachdem der Russe Waleri Rosow (52), eine Legende des Basejumping genannten Fallschirmspringens von im Boden verankerten Strukturen, samt schnittig gebrandetem Flügelanzug im Himalaja in den Tod gestürzt war, ließ das Unternehmen angemessene Betroffenheit verlauten: „Es erfüllt uns mit großer Trauer, dass unser Freund Waleri Rosow nicht mehr unter uns ist“, hieß es. Und es pries den „international hochgeschätzten Athleten“als „Abenteurer der Lüfte, der seine Ziele unermüdlich immer höher steckte“.
Richtige Tonalität
Böhmermann traf etwas mehr als drei Wochen später die Tonalität mit seinem „Gefallen für Red Bull“also recht genau.
Rosow fiel in eine Reihe von Extremsportlern, die bei mit Red Bull in Zusammenhang stehenden Schaustücken in den vergangenen zehn Jahren ihr Leben ließen. Die Stuntflugzeugpiloten Michael Leusch und Guido Gehrmann, der Schneemobilfahrer Caleb Moore, der Teenager und Motorradpilot Toriano Wilson, Motocrosser Eigo Sato sowie die Basejumperelite Eli Thompson, Shane McConkey und Ueli Gegenschatz stehen mit auf der Liste (s. Kasten re.).
Waleri Wladimirowitsch Rosow war auch ein Veteran aus einer Zeit, da Red Bull noch weit weg war vom der ständigen Expansion des Unternehmens geschuldeten Einstieg in den globalen Sport. Noch weit weg von der Formel 1, der Motorrad-WM, dem Fußball, dem America’s Cup, von Golfturnieren, weit weg von der Omnipräsenz in neuen Medien, in den sozialen Netzwerken. Damals gab sich Red Bull geradezu öffentlichkeitsscheu. Einschlägige Begehrlichkeiten wurden abgeblockt, überhaupt wenn sie Chef Mateschitz selbst galten. Da konnte buchstäblich kommen, wer wollte – eine zehnseitige Strecke in der
New York Times? Never ever! Investiert wurde auch nicht vordergründig in Massentauglichkeit und Vorgefertigtes. Millionen für einen Weltstar wie Brasiliens Edelfersler Neymar, der ohnehin von oben bis unter werblich ausgelastet ist – undenkbar wäre das seinerzeit gewesen.
Eine Gruppe kreativer Köpfe ventilierte, durchaus ordentliche Budgets im Rücken, Ideen – gerne auch zunächst absurd anmutende. In Ausnahmefällen wurden aber auch bestehende Konzepte einbezogen und durch Sponsoring und Know-how überarbeitet und aufgewertet.
Über Einzelsponsoring entschied der Coolnessfaktor. Die Sportler waren zum Teil extrem, aber vorwiegend jung und daher eben so, wie die Zielgruppe aus präsumtiven Konsumenten eines Energydrinks sein wollte. Es ging um Typen, um Persönlichkeit, um Authentizität.
Zweimal sechs Milliarden
Nicht unbedingt Weltklasse, sondern Perspektiven waren gefragt. Red Bull, das nach wie vor jährlich ein Drittel seines Umsatzes in Marketing investiert – 2016 wurden nach eigenen Angaben mit rund 12.000 Mitarbeitern mehr als sechs Milliarden Euro umgesetzt und ein Gebirge von ebenso vielen Dosen und anderen Getränkegebinden verkauft –, lockte aber mit weit mehr als nur Geld. Dem Vernehmen nach handelt es sich in den überwiegenden Fällen ohnehin nicht um astronomische oder auch nur besonders stattliche Summen, wie sie heute von Mateschitz besonders geschätzte Konzernvorzeigesportler wie Weltcup-Rekord-Skispringer Gregor Schlierenzauer (niedrig sechsstellig) oder Weltcup-Rekord-Skiläuferin Lindsey Vonn (eher hoch sechsstellig) für ihr ebenfalls gewiss waghalsiges, aber insgesamt doch nicht abnorm risikoreiches Tun kassieren.
Red Bull war immer auch Begleiter und bot vielfältige durchaus geldwerte Möglichkeiten – innovative Kameraleute, herausragende Fotografen, Kontakte zu Ausrüstern, identitätsbildende Worthülsen, Pressekontakte und später auch eine schon in der längst verblichenen DDR einschlägig bewährte Betreuung im hauseigenen Diagnostik- und Trainingszentrum zu Thalgau, wo sich Red-Bull-Athleten heute Zustandsüberprüfungen unterwinden. Und, im Fall des Falles, eben auch Sportmedizin erster Güte und Rehabilitation für die, die Pech oder zu wenig Demut oder beides gehabt haben.